Ein intessantes Inviwe aus "Die Zeit", Ausgabe 46 (Anfang Nov. 23)

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Abrüsten fürs Klima?

Ein Kampfjet verbrennt in einer Stunde so viel Treibstoff wie ein Auto in sieben Jahren, hat die Professorin Neta Crawford errechnet. Ein Gespräch über die Frage, wie man CO₂ sparen und trotzdem wehrhaft bleiben kann

DIE ZEIT: Frau Crawford, die Ukraine, Mali, Bergkarabach, die kurdischen Gebiete in Syrien, Israel und Gaza – die Welt wird derzeit von vielen neuen militärischen Konflikten erschüttert. Was geht Ihnen als Kriegsforscherin durch den Kopf, wenn Sie die Nachrichten sehen?

Neta Crawford: Ich betrachte diese Kriege aus langfristiger Perspektive. Wir sehen, dass überall auf der Welt die Militärausgaben steigen, viele Länder bereiten sich auf Krieg vor. Daher bin ich auch nicht allzu sehr überrascht, dass er ausbricht.

ZEIT: Neben all dem menschlichen Leid, das diese Kriege verursachen, gibt es einen Aspekt, der nur wenig beachtet wird: die Folgen für das Klima. Macht Ihnen das Sorgen?

Crawford: Das macht mir nicht nur Sorgen, wenn ich die Nachrichten sehe, das besorgt mich die ganze Zeit. Seit der Industrialisierung des Militärs erzeugen wir Menschen mit Kriegen große Mengen Treibhausgase, die Jahrhunderte in der Atmosphäre bleiben. Wir leben heute noch mit den Emissionen des amerikanischen Bürgerkriegs, meine Tochter wird damit leben und – sollte ich welche bekommen – meine Enkel. Aber es sind leider zwei verschiedene Zeitrechnungen am Werk: die planetare Zeitrechnung und die, die kurzfristig politisch zählt.

ZEIT:Vor zwei Wochen hat ein Bündnis verschiedener Organisationen eine Studie mit dem Titel Climate Crossfire herausgegeben. Das Nato-Militär, schätzen die Studienautoren, soll allein 2021 etwa 200 Millionen Tonnen CO₂ produziert haben, Tendenz steigend. Sie selbst haben einmal den sehr eindrücklichen Vergleich errechnet: Ein B-52-Kampfjet verbraucht in einer Stunde so viel Treibstoff wie ein durchschnittlicher Autofahrer in sieben Jahren. Wie kommt es, dass bei solchen Zahlen kaum jemand darüber spricht?

Crawford: Das hat unter anderem mit einem wichtigen Moment zu tun: 1997, als die Vereinten Nationen das Kyoto-Protokoll verhandelt haben und sich erstmals auf verbindliche Treibhausgas-Grenzen einigten. Damals hat das US-Verteidigungsministerium gesagt: Wir können die Emissionen nicht reduzieren, sonst schränken wir unsere Fähigkeit zur Verteidigung ein. Der US-Verhandler hat daraufhin in Kyoto die anderen UN-Staaten überzeugt, dass die Armee keine Emissionen zählen und einsparen muss. Und das ist bis heute so geblieben. Dass das Verteidigungsministerium der größte einzelne Energieverbraucher in den USA ist, liest man daher nicht unbedingt in den Berichten. Und darum schenken die Leute dem Thema auch kaum Aufmerksamkeit.

ZEIT: Es gibt noch einen anderen Grund: Über CO₂ zu reden, wenn Menschen sterben, fühlt sich komisch an, auch in diesem Gespräch.

Crawford: Sie haben recht. Schüsse, Bomben, Feuer, das ist alles viel dramatischer als ein unsichtbares Gas. Ich forsche seit mehr als 40 Jahren zu Krieg und fing erst vor sieben Jahren an, den Emissionen des Militärs Aufmerksamkeit zu schenken. Es gibt zwar Leute wie den Klimawissenschaftler Axel Michaelowa, der seit den frühen 2000ern dazu gearbeitet hat. Aber er ließ das wieder sein, weil er sagte: Niemand hört mir zu. Doch das Treibhausgas ist zwar unsichtbar, aber es hat dramatische Folgen für den Planeten, wie Feuer und Fluten. Wir müssen uns damit beschäftigen.

ZEIT: Paradoxerweise wächst durch die Klimakrise ja auch die Gefahr für Krieg, richtig?

Crawford: Bei der Frage, ob der Klimawandel zu mehr Kriegen führen wird, ist die Forschung ambivalent. Ja, er kann Migration fördern und Konflikte um Rohstoffe wie Wasser anheizen. Aber daraus kausale Vorhersagen abzuleiten, ist schwer. Die Ironie ist nur: Das US-Verteidigungsministerium benutzt das Argument seit Jahren. Aber wenn es wirklich glaubt, dass der Klimawandel zu Konflikten führen kann, dann sollte es doch alles daran setzen, CO₂ zu sparen. Tut es aber nicht.

ZEIT: Aber soll ein Land wirklich seine nationale Sicherheit riskieren, um das Klima zu schonen? Das klingt ein bisschen naiv.

Crawford: Sehr gute Frage: Wenn ich heute durch eine Invasion sterbe, was interessieren mich meine Emissionen? Zuallererst lassen Sie mich festhalten, dass ich an das Recht auf Selbstverteidigung glaube. Ich glaube aber auch, dass Kriege vermeidbar sind. All die Angriffe derzeit haben mit einem Versagen von Institutionen und der Diplomatie zu tun. Was wir uns aber unabhängig davon immer fragen sollten: Hat ein Land wirklich die effizientesten und effektivsten Maßnahmen gewählt, um sich zu verteidigen? Wir können die Emissionen dramatisch herunterfahren und trotzdem sicher bleiben. Dafür müssen wir nur unser Militär anders aufstellen.

ZEIT: Und wie soll das gehen?

Crawford: Die USA haben 750 Anlagen und Militärbasen in Übersee und eine Verteidigungslogistik, die Treibstoff über den ganzen Planeten bewegt. Am Persischen Golf haben wir in den Achtzigerjahren mehrfach gekämpft und dort ein Regionalkommando errichtet. Es sollte den Öl-Transport sichern und Israel sowie andere alliierte Staaten schützen. Aber über die Zeit haben sich die Beziehungen mit Staaten wie Saudi-Arabien verbessert. Das Öl wird heute weniger gebraucht, weil sich die Welt verändert hat. Die Gefahr ist also geringer geworden, aber das Militäraufkommen blieb dasselbe. Diese Strategie sollte man überdenken. Das würde auch dem Klima helfen.

ZEIT: Aber wir sehen ja gerade in der Region die grausamen Attacken der Hamas, mit denen kaum einer in diesem Ausmaß gerechnet hat. Oder in Europa den Angriff auf die Ukraine, der das Land in seiner Existenz bedroht und auch anderen Ländern Sorgen macht. Ist es nicht unrealistisch, in so einer Weltlage Abrüstung für das Klima zu fordern?

Crawford: Nehmen wir die Ukraine als Beispiel. Die russische Aggression hat zu einem Krieg geführt, durch den auch Russland Hunderttausende Soldaten und viel Kriegsmaterial verloren hat. Russland ist also geschwächt. Trotzdem baut die Nato ihre Ressourcen aus. Das halte ich für eine Überreaktion.

ZEIT: Darüber kann man sicher lange diskutieren. Ein anderes Beispiel: Aserbaidschan droht aktuell Armenien zu überfallen. Frankreich hat nun versprochen, den Armeniern Waffen zu liefern, damit sie sich verteidigen können. Soll man ihnen in dieser Lage sagen: Lasst das mal besser mit den Waffen, damit nicht so viel CO₂ entsteht?

Crawford: Ich sage nicht, dass man sich nicht verteidigen soll. Was ich versuche zu sagen, ist: Der Teufel liegt im Detail. Man kann eine Armee mit hohen oder mit niedrigen Emissionen haben. Ein effektives oder ein ineffektives Militär. Verbraucht eine Armee effizienter Treibstoff, ist sie auch weniger verletzlich. Ein elektrifiziertes Fahrzeug bleibt nicht plötzlich mitten in Bagdad stehen, weil ihm das Benzin ausgeht. Und was sehr wichtig ist: Viele Emissionen entstehen ja gar nicht im Krieg selbst. Sie entstehen durch Anlagen, bei Trainings und in der Militärindustrie. Weit weg von der Front.

ZEIT: Auch hochrangige Militärs verschiedener Länder setzen sich heute dafür ein, ihre Armeen klimafreundlicher zu machen. Die deutsche Bundeswehr hat mit der Transformation schon begonnen. Macht Ihnen das Hoffnung?

Crawford: Es stimmt: Kampfjets werden heute nicht mehr so oft leer geflogen, Fahrzeuge werden elektrifiziert. Auf größeren Militärbasen wie in Kalifornien wird schon Erdwärme genutzt. Aber das Problem ist: Die meisten Armeen sind nicht bereit, ihre größere Doktrin zu überdenken und etwa von einer aggressiven zu einer defensiven Strategie zu kommen. Nehmen wir die US-Doktrin für Taiwan: Im Fall eines chinesischen Überfalls auf Taiwan würden die USA bis tief nach China zurückschlagen. Um sich darauf vorzubereiten, braucht man viel Militär in Ostasien, Flugzeugträger, Zerstörer, U-Boote. Könnte man Taiwan auch mit einer anderen Doktrin verteidigen? Ja! Und es würde viel weniger Treibstoff brauchen.

ZEIT: Jetzt bin ich gespannt.

Crawford: Chinas Ziel ist es nicht, Taiwan zu zerstören. China will Taiwan besetzen und in das eigene Land integrieren. Aber dafür muss China Truppen schicken, die physisch die Kontrolle über die taiwanesische Insel übernehmen. Statt China selbst anzugreifen, kann man also auch Taiwan helfen, uneinnehmbar zu werden. Das nennt man deterrence by denial, also Abschreckung durch Vereitelung. Dafür braucht man keine hochgerüsteten US-Militärs, die ständig vor der Küste sitzen.

ZEIT: Der deutsche Bundeskanzler hat der Bundeswehr vergangenes Jahr 100 Milliarden Euro zugesichert. Wofür sollte sie das Geld Ihrer Meinung nach ausgeben?

Crawford: Sicher nicht für viele neue Waffen oder Militärübungen. Noch mal: Die Gefahr, dass Russland Deutschland angreift, ist gering. Wir sollten uns nicht von der Angst davor treiben lassen. Der Klimawandel allerdings ist zu 100 Prozent Realität, schon jetzt. Vielleicht könnte man aber einen Teil des Geldes benutzen, um herauszufinden, welche Form der deterrence by denial für Deutschland funktioniert. Wie gesagt, ich denke nicht, ein Land soll sich nicht verteidigen können. Aber Armeen müssen kreativer werden!

ZEIT: Nützen könnte es, die Energiesysteme zu transformieren. Russland oder Aserbaidschan verwenden schließlich das Geld aus Öl und Gas, um Waffen zu kaufen, mit denen sie andere überfallen.

Crawford: Absolut. Abhängigkeiten reduzieren hilft. Deutschland hat ja auch gezeigt, wie schnell es Gas einsparen kann. Aber es geht noch schneller. Vielleicht sollte die Regierung jetzt 100 Milliarden Euro für die Transformation ausgeben.

Das Gespräch führte Laura Cwiertnia

Die US-Amerikanerin Neta Crawford, 62, lehrt als Professorin in Großbritannien an der University of Oxford. Seit mehr als 40 Jahren forscht sie zu Kriegen, mittlerweile auch zu deren Klimafolgen

Fotos: Chloé Sharrock/MYOP/laif; Boston Globe via Getty Images

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Seite zuletzt geändert am 06.11.2023 17:53 Uhr