5. Erste Maßnahmen (S. 20)

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Mit der Erkenntnis, daß der Fluß vergiftet ist, war der erste Schritt zur Problembewältigung getan. Aber trotzdem sahen viele Osnabrücker die Hase als Abfallbeseitigungsstätte an, in der man alles entsorgen konnte, was man nicht mehr brauchte. Hinweise und Aufrufe in der Tagespresse schie­nen nicht zu fruchten, denn das Os­nabrücker Tageblatt empörte sich immer wieder erneut darüber, daß man (lebendige oder tote) Tiere in der Hase entsorgte, außerdem beschwer­ten sich im Sommer, wenn die Hase nur wenig Wasser führte, die Anlieger über den „widerlichen Anblick“ und den „abscheulichen Geruch“ (wen wundert’s?). Den Osnabrückern wurde mitgeteilt, daß es bereits seit 1873 verboten war, „crepiertes Vieh oder lebende Tiere zum Ersäufen in ein Flußbett zu werfen.“ Zuwi­derhandlungen konnten mit Geld- oder Haftstrafe geahndet werden.

Abb. 10: Eine Postkarte aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Nichts weist auf die Haseproblematik hin …

Das paradoxe Verhältnis zur Hase wird auch durch andere Maßnahmen deutlich: man fühlte sich zwar hilflos dem Dreck und Gestank ausgeliefert und hatte keine Vorstellungen, wie man diesen Zustand beheben könne, aber „schön“ mußte die Hase sein!

„Von der Hase. Nachdem das Wasser der Hase nun wieder etwas fällt, geht das alte Uebel wieder los und treibt dieselbe wieder mit dem bekannten Schmutz. Einem Naturforscher wäre da die schönste Gelegenheit geboten, denn von der kleinen Spitzmaus auf­wärts bis zum ausgewachsenen Schwein ist daselbst alles zu finden, Hunde, Katzen, Ziegen etc. Es wäre doch endlich zu wünschen, daß diese Tiere verscharrt und nicht ins Wasser geworfen würden.“ (OT, 11.4.1894)

Auffällig ist auch, daß vor allem die Haseanlieger immer wieder von der Stadt forderten, die Hase zu reinigen. Obwohl sie durch die engagierte Ta­gespresse darüber informiert waren, daß hauptsächlich die an der Hase liegenden Werke für die Verschmut­zung und Vergiftung verantwortlich waren - und selbst mutmaßten, die Einleitungen der Landgemeinde Schinkel würden das Ihrige beisteuern - forderten sie im vergangenen Jahr­hundert nicht, nur geklärte Industrie­abwässer in die Hase zu leiten bzw. diese Einleitungen ganz zu stoppen.

Ausnahmen bestätigen - wie im­mer - die Regel: In der 2. Hälfte des 19. Jh. wurde die Piesberger Stein­kohle in großem Umfang abgebaut. In den Stollen sammelten sich immer größere Mengen von Grubenwasser mit einem Salzgehalt von bis zu 46 Gramm pro Liter an. Dieses Salzwasser mußte aus den Stollen gepumpt wer­den; pro Minute wurden 15.000 Liter salz- und eisenoxidhaltiges Wasser in die Hase befördert. Das waren, so schildert ein Artikel im Osnabrücker Tageblatt vom 25.8.1887, täglich „etwa 17 Doppelwaggon Kochsalz.“

Wenn bei Hochwasser die Hase über die Ufer trat, wurden die anlie­genden Wiesen wegen des hohen Salzgehaltes stark beschädigt, und die Wiesen- und Weidenbesitzer forder­ten vehement das Abstellen dieser Einleitungspraxis.

„Von der Hase. Gestern Morgen 5 ½ Uhr war die Hase unterhalb Osna­brück wieder mit betäubten Fischen bedeckt, die in Massen herausgefangen wurden. Das Wasser hatte einen säuerlichen widerlichen Geruch.“ (OT, 1.5.1893)

Dieses Beispiel zeigt auch, daß nicht nur wirtschaftliche Interessen mitverantwortlich für die Hasever­schmutzungen waren, sondern daß auch hinter Forderungen, solche Ein­leitungen zu unterlassen, wirtschaftli­che und nicht ökologische Interessen stehen konnten.

Der Wunsch, die Symptome der Haseverschmutzung zu bekämpfen, nicht aber die Ursache, ist aus der damaligen Sicht nachvollziehbar. Innerhalb weniger Jahrzehnte war aus der beschaulichen Ackerbürgerstadt eine pulsierende Industriestadt ent­standen. Unvorstellbare technische Errungenschaften wie Eisenbahn, ein erstes Telefonnetz, Gasversorgung, Fragen der Elektrifizierung, städtisches Wasserleitungsnetz etc. mußten erst einmal verdaut werden.

Der Auf­schwung der Stadt stand im Zusam­menhang mit der Industrialisierung; kaum jemand wagte es, diese Errun­gen­schaften, die ein neues Zeitalter ein­ge­läutet hatten, zu kritisieren. Daß beim Beginn eines neuen Zeitalters man­ches Alte auf der Strecke blieb, schien unabwendbar zu sein; außer­dem - so meinte man - müßten ange­sichts der vielen neuen Errungenschaf­ten eben auch Abstriche gemacht werden.

„Wer die Eispfähle oder Eisbrecher (!!) an der Biegung der Hase beim Bohne’schen Hause betrachtet, hätte wohl auf den Gedanken kommen kön­nen, ein wie reißender und gefährli­cher Strom unsere doch so friedliche Hase sein müsse, wenn ihn nicht der altersschwache Zustand der Pfähle sofort eines anderen belehrt hätte. Seit gestern sind sie endlich auf Betreiben eines unserer Mitbürger verschwunden und die Hase gewährt dort nunmehr einen recht freundlichen Anblick, während derselbe früher in der Stadt geradezu unwürdig war. Es ist bedau­erlich, daß derartige Verbesserungen immer erst eines langjährigen wieder­holten äußeren Anstoßes bedürften.“ (OT, 16.7.1890)

Und die Hase, so dachte man wohl, war ja sowieso ein Fluß, der einfach da war, warum also ihn nicht nutzen? Die Vorstellung, industrielle Werke be­stimmten Auflagen zu un­terwerfen, konnte angesichts dieser, in der Mehr­zahl als positiv empfunde­nen, Entwick­lung noch nicht entste­hen.

Dazu ein Beispiel:

1892 wurde auf einer Tagung des Bürgervorsteher­kol­legiums darüber diskutiert, die Hasefi­scherei zu forcieren, um eine alte Geldquelle neu zu erschließen. Mit der Begründung, die Hase sei viel zu häufig verschmutzt, wurde dieser Vorschlag abgelehnt. Wenn auch noch niemand daran dachte, die Ur­sachen zu bekämpfen, gegen die ne­gativen Folgen der Haseverschmut­zung sollte doch agiert werden. Immer wieder forderten gerade die Hasean­lieger, aber auch Besucher in der Stadt, die Hase zu reinigen, aber kaum, die mannigfachen Einleitungen zu stoppen.

Unter Haseverschmutzung ver­stand man damals lediglich das, was man mit den Sinnen wahrnehmen konnte, also das, was man sah - Dreck, Gerümpel, Tierkadaver etc. - und das, was man roch. Die perma­nente, schleichende Vergiftung durch Kleinstteilchen oder was-serlösliche Stoffe wurde nur dann zur Kenntnis genommen, wenn Augen und Nasen sie auch wahrnahmen, nämlich dann, wenn das Wasser unappetitlich aussah oder stank. Oder aber, wenn die Schwäne verendeten. Das häufig auf­tretende Fischsterben wurde - da es scheinbar ein alltägliches Phänomen war - oft nur noch lapidar festgestellt.


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Seite zuletzt geändert am 09.04.2006 17:08 Uhr