Rezensionen zu: Urbane Umweltbildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung ... (2001)

  • Rezension von de Haan in: Ökologie und Lernen 2003 (s. unten)
  • Rezension von Michelsen (s. unten)
  • Rezension von Claußen: Neue Fachliteratur zur Umweltproblematik im Spannungsfeld von Politik, Sozialwissenschaften und Bildungsarbeit (Sammelrezension in den DGU-Nachrichten 25 (Juni 2002) (s. unten)
  • Besondere Erwähnung von Franz Rauch in: Bildung für nachhaltige Entwicklung als Anlass für Innovationen in der Schule (2004, pdf?)
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Rezension von G. de Haan in: Ökologie und Lernen (2003):

Innerhalb der Theoriedebatte zur Umweltbildung, ökologisch orientierten Bildung und nunmehr auch der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung gibt es wenig Standardliteratur. Dieser Band von Gerhard Becker, der in gewisser Weise seine Arbeiten zu dieser Thematik der letzten Jahre zusammenfasst, gehört zu eben dieser Standardliteratur. Beginnend mit der Aufforderung die schulische Umweltbildung neu zu denken, wird ein ganzes Bündel an Facetten dieser Neuorientierung in den folgenden Kapiteln entfaltet. Zwar geschieht dies immer wieder in Rekurs auf die Agenda 21 und Bildung im städtischen Raum, nie aber wird eine breitere theoretische Perspektive dabei vernachlässigt. Becker beginnt seine Überlegungen mit einigen kritischen Thesen zur Reichweite und Verankerung der Umweltbildung, ferner zur Problematik in einem starren Schulsystem ein Bildungskonzept zu platzieren, das auf Offenheit, Partizipation und eine hohe methodische Kompetenz der Lehrkräfte setzt. Man kann die durchgängig gut belegten Thesen nur unterstützen. Ein zweites Kapitel widmet sich dem historischen Verlauf von der Umwelterziehung in den 70er Jahren bis hin zur Umweltbildung in den 90er Jahren. Darin eingeschlossen ist auch ein Exkurs zur ökologischen Bildungstheorie, so dass ein in der Tat integriertes Konzept von ökologischen Ansprüchen und pädagogischer Reflexion vorliegt. Ein weiteres großes Kapitel widmet sich dem Thema "Partizipation", wobei Becker im Grunde zivilgesellschaftliche Argumente anführt und etliche Beispiele aus dem Feld der lokalen Agenda 21-Prozesse beibringt. Auch hier gelingt es gut, die Beziehung zwischen zivilgesellschaftlichen Partizipationsmodellen und der Notwendigkeit von Partizipation im pädagogischen Kontext deutlich zu machen. Ein wenig heraus fällt das vierte Kapitel zum Konstruktivismus. Becker belegt, wie notwendig es ist, im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung sich konstruktivistischen Argumentationen anzuschließen. Da es sich hier um ein erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretisches Konstrukt handelt, hätte es vielleicht an den Anfang des Bandes gehört, um sich präziser zu positionieren. Das 5. Kapitel schließlich konzentriert sich ganz auf die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, verortet dieses im Kontext der reflexiven Moderne, zeichnet Schlüsselqualifikationen und Schlüsselprobleme sowie curriculare Notwendigkeiten nach und kommt auch hier am Ende wieder auf das durchgehaltene Sonderthema des Bandes zurück: den Bezug zur lokalen Situation.

Zielsetzung: Entwicklung einer Theorie der Umweltbildung mit Konzentration auf regionale bzw. lokale Bezüge von Bildungsprozessen

Inhaltliche Qualität: hohes Reflexionsniveau mit oftmals sehr systematisch strukturierten Passagen

Methodische Qualität: Übersichtlich aufgebaut durch hervorgehobene Thesen und Schaubilder

Bewertung: ausgezeichnet


Rezension von Michelsen

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Rezension von Bernhard Claußen

in: Neue Fachliteratur zur Umweltproblematik im Spannungsfeld von Politik, Sozialwissenschaften und Bildungsarbeit, in: DGU Nachrichten Nr. 25 Juni 2002, S. 44/45 (Auszug aus Sammelrezension)

Die Behandlung von Umweltfragen hat sich in jüngster Zeit als Gegenstand der Fachliteratur fest etabliert. Kaum merklich wird allerdings die Zahl der Neuerscheinungen geringer, während zugleich die materiale Impulsgebung nur noch relativ selten markant genannt werden kann. Einige typische Beispiele erwähnenswerter Publikationen sollen nachfolgend knapp vorgestellt und kommentiert werden. […] Gerhard Becker: Urbane Umweltbildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung. Theoretische Grundlagen und schulische Perspekti¬ven (= Ökologie und Erziehungswissenschaft, Bd. 7), Opladen: Leske und Budrich 2001 (391 Seiten)

Ausgangspunkt für die Monographie sind - allemal nachvollziehbare - konzeptionelle und praxisspezifische Defizite der Umweltbildungsarbeit insbesondere an Schulen, die in ihrem krassen Gegensatz zu den Fortschritten mittlerweile globaler Diskurse zur Nachhaltigen Entwicklung' prekär sind. Es ist daher nach - einleuchtender - Ansicht des Autors die Reflexion neuer Intentionen, Zukunftsperspektiven und Realisierungsumstände dringend nötig.

Um seine Kritik zu untermauern und eigene Vorstellungen zur Erneuerung, für die er verstreut vorfindliche Impulse kreativ aufgreift, zu präzisieren, bietet der Verfasser zunächst einmal eine umfangreiche Darstellung und Analyse vorhandener Entwicklungslinien. So nimmt er die Umweltbildung seit ihren Anfängen in historiographischer und bildungspolitischer Perspektive in den Blick. Das geschieht dergestalt, daß Bezugnahmen auf zeitgenössische (fach-)wissenschaftliche und (meta-)gesellschaftliche Diskurse über Postmodernismus, Pluralismus, Konstruktivismus und Urbanität, intensiver jedoch über Partizipation und Nachhaltigkeit, deutlich akzentuiert werden.

Vor diesem Hintergrund erfolgt die Skizze und exemplarische Konkretisierung eines dem Selbstverständnis nach pluralistischen und allgemeinbildend gedachten Rahmenkonzepts für die Umweltpädagogik, das einerseits hauptsächlich vorhandene umwelterzieherische Basiskonzepte zu integrieren versucht, andererseits Element einer umfassend zu entwerfenden grundlegenden Bildung für Nachhaltige Entwicklung' sein soll. Logischer- und konsequenterweise werden etliche Querverbindungen zu verschiedenen Theorie- und Aufgabenfeldern der Pädagogik gesucht - und diese selbst für Nachhaltigkeitsbedarfe nicht funktionalisiert, aber erschlossen, namentlich vor allem entwicklungspolitische und interkulturelle Bildung sowie Friedenspädagogik. Das Integrations- bzw. Kooperations- und Koordinationskriterium wird im Zusammenhang damit durch Schlüsselkompetenzen bestimmt, für die es allerdings, auch nach dem Dafürhalten des Autors, weiterhin Klärungs- und Diskussionsbedarf gibt.

Zwecks Präzisierung und Ausweis von Realisierungschancen erfolgt schließlich eine Inbeziehungsetzung der (für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit gedachten) Überlegungen zu den konzeptionellen und praktischen Möglichkeiten von Prozessen der Lokalen Agenda 21 und somit selbstredend auch zu den städtischen Lebenswelten. Übersehen wird dabei allerdings eine gewisse Benachteiligung von Lernenden aus nicht¬urbanen Existenzzusammenhängen und eine das Ansinnen der - aufgrund mancher Inkompatibilitäten ohnehin kaum komplett möglichen - Integration von Konzepten unterlaufenden Minderwertschätzung von makropolitisch und gesamtsystemkritisch orientierten Ansätzen, deren Profil nicht zuletzt in erheblicher Skepsis gegenüber dem Nachhaltigkeitsansatz und kommunalen Eklektizismen besteht. Beachtlich bleibt gleichwohl, daß und wie der Verfasser eigene Erfahrungen in reflektierter Weise für die Ergründung von Verwirklichungsbedingungen seiner Perspektive aufbereitet, zu der nicht zuletzt die Etablierung einer lokalen pädagogischen Infrastruktur und eine in lokaler Verantwortung angesiedelte Curriculumentwicklung gehört. Es liegt damit ein diskussionswürdiger Entwurf vor, der sich ungeachtet der hier nötigen Einwände wohltuend von vielen bloß pragmatischen und aktionistischen Vorstellungen in jüngeren Publikationen abhebt.


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