Globales Lernen (2)

Globales Lernen für eine zukunftsfähige Entwicklung.

Plädoyer für ein Unterrichtsprinzip

Jörg-Robert Schreiber

Zusammenfassung: Der Autor beschreibt vor dem Hintergrund seiner Erfahrung als Lehrer in der Mitarbeit in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen ein Konzept zum globalen Lernen in der Schule.

Hinter den zum Teil unterschiedlichen Konzepten, die sich hinter Begriffen wie "Dritte Welt Unterricht", "Entwicklungspädagogik", "Friedenserziehung", Interkulturelles Lernen", "Entwicklung und Umwelt", "Entwicklungspolitische Bildung", "Ökumenisches Lernen", "Global denken lokal handeln", "Zukunftsorientierte Erziehung", "Lernen für die Eine Welt", "Globales Lernen" verbergen, stehen nicht nur gesellschaftliche und didaktische Entwicklungsprozesse, sondern auch unterschiedliche Blickwinkel und viel verwirrendes Neben- und Durcheinander. Was wollen wir eigentlich?

Wer in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, in den Medien Verbündete finden und den notwendigen bildungspolitischen Einfluß gewinnen will, muß sich konzeptionell klarer artikulieren. Und das ist nicht in erster Linie eine Frage öffentlichkeitswirksamer Begriffsbildung, sondern ein Klärungsprozeß der Beteiligten. Was sich da beharrlich seinen Weg bahnt, ist nicht in erster Linie das Produkt von Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik, selbst wenn diese dazu wichtige Beiträge liefern Es gibt kaum einen zweiten Lernbereich der - bis hin zu der inzwischen unübersehbaren Falle an Unterrichtsmaterialien - so entscheidend von Nichtregierungsorganisationen, kirchlichen und multinationalen Einrichtungen und zahllosen kleinen Initiativen entwickelt - und von der schulischen Praxis gestaltet wird. Das wichtigste Förderinstrument für die entwicklungspolitische Bildung und Publizistik in unserem Lande, der ABP, ist vielen nicht einmal vorn Namen her geläufig. Der Etat des Ausschuß für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (der evangelischen Kirche) war in den letzten Jahren mehr- als doppelt so hoch wie die entsprechenden Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

 Wichtiger Beweggrund für das Engagement der NR0 war die Verengung der Entwicklungsspielräume in zahlreichen Ländern des Südens, die Erfahrung vieler Organisationen, daß ihre Projekte der Entwicklungszusammenarbeit nur im Rahmen globaler Veränderungen langfristig sinnvoll sind. Die Probleme, die man in irgendeinem Land der Dritten Weit angetreten war zu lösen, stellten sich als komplexer, tiefgreifender, globaler und - aus unserer Sicht - hautnaher heraus. Wer entwickelt den Norden, wurde von ihnen gefragt, v.a. sein selbstgefälliges Bewußtsein? Entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit spielen heute in der Arbeit der meisten NRO eine wachsende Rolle. Nicht nur dort - auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit - ist dieser Trend zu beobachten und nicht nur (wie in früheren Jahren) zur Legitimation staatlicher Entwicklungshilfe. Schulbehörden, an die Kulturhoheit ihrer Länder gewöhnt und nicht gerade geübt in der Zusammenarbeit mit NRO, haben da gelegentlich noch ihre Probleme.

Das Begriffs-Babylon ist aber in erster Linie ein Spiegelbild der Globalisierung oder - genauer gesagt - unserer wachsenden Wahrnehmung der Komplexität der Weltgesellschaft und ihrer dynamischen Veränderung. Alfred Treml hat wesentlichen Anteil daran, der entwicklungspädagogischen Szene Ausmaß und Konsequenz dieser Komplexität bewußt gemacht zu haben. In seinem an den Grundfesten rüttelnden Aufsatz "Desorientierung überall" spricht er davon, daß die alten Landkarten nicht mehr taugen. Desorientierung lasse sich nicht allein auf da Handlungsebene überwinden, sie erfordere vielmehr eine Zeit lang weiterhin mit der Ungewißheit und der Unbestimmtheit zu leben". Entwicklung sei - zumindest auf globaler Ebene - nicht plan- und steuerbar und dafür schlichtweg zu komplex. Es gibt Anzeichen dafür zu glauben, daß die von Treml vor drei Jahren geforderte Besinnungspause jetzt zu neuen Orientierungspunkten führt.

Der Blick auf das in seiner Vielfalt chaotisch anmutende, sich laufend verändernde Netz der globalen Wechselbeziehungen brachte die bisher als hilfreich angesehene Entwicklungstheorien ins Wanken, machte zunächst einmal hilflos und löste subtile Verdrängungsprozesse aus. Wir kennen sie auch aus dem Schulalltag, sie können ganz unterschiedliche Formen annehmen: von ohnmächtiger Gleichgültigkeit bis hin zu blindem Weitermachen wie bisher mit gelegentlichen Anfällen von Aktionismus. Die politische Kultur in unserem Lande macht uns diese Horizontverengung vor, wenn Probleme, wie das der Massenarbeitslosigkeit allein durch eine Aufwertung des Standortes Deutschland gelöst werden sollen. Wer aber nicht möchte, daß zukunftsbestimmende Entwicklungen einer kleinen Elite von global agierenden Finanz- und Wirtschaftsfachleuten, dem Markt oder dem Zufall überlassen bleiben, muß sich den intellektuellen und emotionalen Herausforderung einer globalen Existenz stellen und dem Globalen Lernen hohen Stellenwert einräumen.

Was ist nun aber das Spezifische und Gemeinsame, das immanente Bildungsverständnis, das hinter der Begriffsvielfalt und den damit verbundenen pädagogischen Bemühungen steht? Es sind nicht bestimmte Themen oder geographische Räume, sondern komplexe globale Zusammenhänge und die dumpfe Ahnung, daß tiefgreifende Veränderungen in allen wichtigen Lebensbereichen angesagt sind. Das Gemeinsame liegt in der Herausforderung, unsere Welt ökologisch und sozial zukunftsfähig zu gestalten und ein von Gerechtigkeit, kultureller Vielfalt, Solidarität und Partizipation geprägtes universelles Menschenbild zu schaffen. Deshalb macht es auch keinen Sinn, sich ein neues Unterrichtsfach "Globales Lernen" zu wünschen. Es kommt vielmehr darauf an, Konvergenzlinien zwischen globalen Entwicklungen einerseits und Veränderungen in unseren Schulen andererseits aufzuspüren. Daß es diese Konvergenzen geben muß, ist für Lehrerinnen und Lehrer, die Vermittlung von Fachwissen der zukunftsorientierten Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler unterordnen, nicht überraschend. Sind doch Schüler, wie auch Erwachsene, Betroffene und mögliche Gestalter einer globalen Existenz.

Globales Lernen ist einem neuen Leitbild verpflichtet, das keineswegs unangefochten ist, das aber v.a. darunter leidet, daß es - obschon in vielen Galerien ausgestellt - Maler und verzückte Betrachter nicht wie von selbst zur Veränderung bewegt. Angesichts des Konfliktreichtums und der kulturellen Vielfalt der Weltgesellschaft ist der internationale Konsens über das gemeinsame Entwicklungsziel einer langfristigen Zukunftssicherung durch nachhaltige Entwicklung in Nord und Süd eher überraschend und sehr erfreulich. Weit weniger Konsens besteht darüber, daß das Ziel der Sustainability nur durch eine internationale Strukturpolitik erreicht werden kann, die an den wachsenden globalen Risiken ansetzt und umfassend Konfliktvorbeugung betreibt. Dieses neue Leitbild muß zunehmend das noch vorherrschende Leitbild überblenden, daß durch die Ausrichtung auf nationale Interessen geprägt ist und globale Probleme mit humanitären Maßnahmen bekämpft.

Für die Auswahl der Felder, in denen Globales Lernen als Unterrichtsprinzip eine wesentliche Rolle spielt, ist es hilfreich, einen Blick auf die "gesellschaftsrelevanten Schlüsselprobleme" Wolfgang Klafkis zu werfen oder eine Liste der globalen Risiken heranzuziehen, wie sie z.B. von Thomas Fues von der Organisation WEED zusammengestellt wurde (E+Z 8/95): Zu den 10 größten globalen Risiken rechnet er:

1. Umweltzerstörung

2. Massenarmut

3. soziale Desintegration

4. gewaltsame Konfliktaustragung

5. Wanderungsbewegungen

6. internationale Kriminalität

7. unkontrolliertes Atompotential

8. ruinöse Standortkonkurrenz

9. spekulative Kapitaltransaktionen

10. Bevölkerungsentwicklung.

Es ist der Stoff der großen Weltkonferenzen von Rio bis Peking. Er sprengt nicht nur alle herkömmlichen Fachstrukturen unserer Bildungseinrichtungen, sondern birgt aufgrund der Orientierung an globalen Risiken die Gefahr eines katastrophenorientierten Betroffenheitsunterrichts. Globales Lernen soll aber nicht nur den Horizont des Problembewußtseins erweitern; es geht darüber hinaus um die Mitgestaltung neuer qualitativer Leitbilder die Reinhard Loske (der im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie verantwortlich zeichnet für die neue Studie "Zukunftsfähiges Deutschland") mit dem Ziel umschreibt gut zu leben; statt viel zu haben Globalem Lernen liegt kein festgezurrter Entwicklungsbegriff zugrunde. Kernanliegen ist vielmehr die immer neu zu stellende Frage, was Entwicklung in einem weltweiten Kontext bedeutet.

Das Schweizer Forum Schule für eine Welt" definiert Globales Lernen als Vermittlung einer globalen Perspektive und die Hinführung zum persönlichen Urteilen und Handeln in globaler Perspektive auf allen Stufen der Bildungsarbeit. Die Fähigkeit, Sachlagen und Probleme in einem weltweiten und ganzheitlichen Zusammenhang zu sehen, bezieht sich nicht auf einzelne Themenbereiche. Sie ist vielmehr eine Perspektive des Denkens, Urteilens, Fühlens und Handelns, eine Beschreibung wichtiger sozialer Fähigkeiten, für die Zukunft. Globales Lernen als "soziale Fähigkeit für die Zukunft", dem ist nur wenig hinzuzufügen.

Didaktische Konvergenzlinien mit einer sich reformierenden Schule, die stärker als bisher Lernende in aktiven Rollen sieht, vernetztes Denken und Konfliktfähigkeit fördert und an der Umwelt und den persönlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpft, sind nur unschwer zu erkennen. Globales Lernen impliziert eine schülerorientierte Sicht; es hilft, die Fähigkeit zu erwerben, seinen Platz in einer sich verändernden Welt zu bestimmen und von diesem Standort aus das eigene Leben zu gestalten und zur Lösung drängender Probleme beizutragen. Es ist der Dreiklang von Horizonterweiterung, Stärkung der Identität und gesellschaftlichem Handeln. Globales Lernen ermöglicht, globale Entwicklungen mit lokaler Handlungsfähigkeit in Einklang zu bringen. Es fördert Identität und Weltsicht.

Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sich im Lernzielkatalog von Globalem Lernen wiederfinden, sind in der Regel keine Neuschöpfungen. Sie sind heute Bestandteil der meisten Bildungspläne, auch wenn dort Globales Lernen nicht explizit erwähnt wird. Kennzeichnend für ein Unterrichts prinzip "Globales Lernen" ist die stärkere Akzentuierung von zukunftsorientierten Fähigkeiten zur Lebensgestaltung in einer komplexen Weltgesellschaft; also beispielsweise die Fähigkeit

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      Erfahrungen aus dem Nahbereich in einen weltweiten Rahmen zu stellen,
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      die Fähigkeit zu Empathie und intellektueller sowie sinnlicher Wahrnehmung aus wechselnder Perspektive,
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      die Fähigkeit sich bei der ethischen Begründung von Entscheidungen und Handlungen an universellen Prinzipien zu orientieren
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      die Fähigkeit zu (in anderen Kulturen z.T. weit verbreitetem) inklusivem Denken, dem von Hans Bühler beschriebenen logischen "Sowohl - als auch" Operationen. 

"Global" sollte in diesem Zusammenhang eher in seiner Bedeutung als "weltweit, weltumspannend" und weniger in seiner leicht negativen Konnotation als "umfassend, vereinfachend, oberflächlich" verstanden werden. Globales Lernen ist elementar auf die Wahrnehmung und Ergründung von Situationen, Entscheidungen und Prozessen auf der Mikroebene angewiesen. Wie von Schmidt-Wulffen wiederholt gefordert und vorgeführt, kommt es dabei sehr auf die Verflechtung wichtiger Entscheidungsebenen an - von der familialen über die lokale und nationale bis zur globalen.

Es bringt für den Erkenntnis- und Lernprozeß wenig, wenn ich ein Phänomen, wie das rasche Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern oder die Zerstörung der Regenwälder, allein von der nationalen Ebene her betrachte. Ein Fach wie die Geographie, in der die Untersuchung von Raums verschiedener Ebenen und deren Verflechtungen Tradition hat, könnte dabei über die bestehenden Ansätze hinaus einen wichtigen Beitrag leisten. Es müßte dabei allerdings als Schulfach - abweichend vom wissenschaftlichen Selbstverständnis - den Menschen und die Sicht der Schülerinnen und Schüler noch konsequenter in den Mittelpunkt stellen.

Ob - wie Hagedorn und Meyer es in der Konzeptstudie des Grimme-Instituts zum ARD-Programmschwerpunkt "Eine Weit für alle" vorschlagen - die Begriffsprägung global-ökologische Heimatkunde bisher getrennte Handlungs- und Bildungsfelder zusammenzuführen vermag, muß vor allem aufgrund des schillernden und von vielen nicht besonders geliebten Heimatbegriffs angezweifelt werden. Ihr Hinweis auf das universelle Grundbedürfnis nach vertrauter Welt, nach dem - trotz zunehmender Mobilität - eher wachsenden Bedürfnis, sich auf einer unwirtlicher werden 4en Erde irgendwo heimisch zu fühlen, erscheint dabei sehr wichtig. Die oft kahle Rationalität ökologischer Funktionslogik wird diesem Sicherheitsbedürfnis nicht gerecht. Öffnung für Fremdes und globale Zusammenhänge setzt im allgemeinen Identifikation mit und Engagement für den eigenen Lebensraum voraus, dessen Grenzen allerdings fließend sein sollten und sich nicht mit herkömmlichen politischen oder kulturellen Grenzlinien decken müssen. Aufgabe von Globalem Lernen wäre es, Einstellungen und Erfahrungen zu ermöglichen, die - trotz Verwurzelung - Horizonte erweitern, lokales Handeln und Weltsicht miteinander verbinden.

Der Begriff global-ökologische Heimatkunde verweist auch auf ein weiteres Problemfeld. Globales Lernen sollte sich - trotz seiner Ausrichtung auf eine Wahrnehmung von Vernetzungen - nicht zum grenzenlos= Sammelbecken von Themen und Lernzielen entwickeln. Umso präziser es sich als Lernprinzip darstellt und sich gegenüber anderen Ansätzen, wie z.B. der viel stärker sachorientierten und lokal ausgerichteten Umweltpädagogik, zu profilieren vermag, umso eher hat es eine Chance von einer interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen und verstanden zu werden. Abgrenzung und Profilierung stehen dabei bewußt in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Vernetzung und Kooperation. Es wäre wichtig, herauszustellen, daß sich notwendige Abgrenzungen im Rahmen einer Neustrukturierung eher an Lernzielen als an Fachthemen orientieren. Zwar erfolgt Globales Lernen an bestimmten Themen und kann ohne fundiertes Fachwissen nicht auskommen, aber es ist nicht primär auf Wissenserwerb angelegt sondern auf die Entwicklung der Fähigkeit vernetzt und zukunftsorientiert wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen und zu handeln Die in den Blick genommene Zielperspektive "Globalität" (Hans Bühler definiert sie mit "Gerechtigkeit für alle, "Komplexität", Universalismus, "Verantwortungsethik") muß dabei deutlich werden. Sie kann nicht festgeschrieben werden und zeichnet sich dadurch aus, im Fluß zu sein, aus verschiedenen kulturellen Blickwinkeln unterschiedliche Sichtfelder zu eröffnen und von der oder dem Lernenden mitentwickelt zu werden.

Hinsichtlich der Lernformen, der unterrichtsmethodischen Ansätze und der Organisationsformen braucht Globales Lernen keinen Sonderweg zu gehen. Die Notwendigkeit zur Öffnung des Unterrichts wird im mit diesem Unterrichtsprinzip jedoch deutlicher als in herkömmlichen Lernbereichen. Nicht ohne Grund hat Globales Lernen bisher vor allem im Rahmen von Projektwochen und projektartigem Unterricht Gestalt gewonnen. Globales Lernen ohne Kooperation mit außerschulischen Organisationen und Initiativen, ohne konkrete Begegnung mit Fremden und Fremdem, ohne Aktionen, Ausstellungen, Spiele, Theater ist kaum noch vorstellbar.

Globales Lernen ist kein neues Fach und kein neugeschnittener Fachbereich, sondern ein wesentliches Prinzip für Unterricht schlechthin - gewiß, für das eine Fach mehr als für das andere - vor allem aber für einen ganzheitlichen, von Phänomenen ausgehenden Projektunterricht, der in Form einer Rhythmisierung nicht auf Phasen lehrgangsmäßigen Wissenserwerbs verzichten kann. Alle Lehrerinnen und Lehrer werden erfahren haben, daß man sich dabei nicht auf die Formel des fächerübergreifenden Unterrichts verlassen darf. Wenn dieser nicht gerade in der Hand von einer Person liegt scheitert er immer noch oft genug an der organisatorischen Zwangsjacke vieler unserer Schulen. Hier haben kleine Schritte oft mehr erreicht als große Reformkonzepte: Die Kooperation mit einer Kollegin oder einem Kollegen, mit denen man sich gut versteht, die rechtzeitige Bitte um Blockung von Stunden bei Stundenplanerstellung, die Einführung eines Differenzierungstages, an dem der Unterricht ganz oder weitgehend in den Händen von zwei kooperierenden Kolleginnen oder Kollegen liegt, die allmähliche Institutionalisierung von Projektphasen, die stärkere Berücksichtigung von globalen Themen bei der Entwicklung von Schulprofilen... Richtlinien und Lehrpläne lassen in aller Regel genügend Spielräume für Globales Lernen. Die neuen Empfehlungen der KMK "Zum Unterricht über die Eine Welt/Dritte Welt“ stellen Globales Lernen (wenn auch nicht unter diesem Begriff) umfassend als Bildungs- und Erziehungsaufgabe dar, die „insgesamt so bedeutsam ist, daß sie Bestandteil der Allgemeinbildung sein muß und der besonderen Berücksichtigung bei der beruflichen Ausbildung bedarf." Die in einigen Bundesländern angestrebte größere Autonomie von Schule eröffnet hier (bei allen Risiken) neue Möglichkeiten in überschaubarem Rahmen. Sie gilt es aufzuspüren und bei Zeiten zu nutzen.

Die Vielzahl, Komplexität und Dynamik von Themen an denen sich Globales Lernen vollzieht, erfordert jedoch in viel stärkerem Maße als bisher eine auf diese Entwicklung abgestimmte Lehreraus- und -fortbildung und konkrete Hilfen für die Durchführung von Unterrichtsvorhaben. Zwar gibt es heute - neben dem Engagement von UNICEF, den kirchlichen Entwicklungsträgern, Greenpeace, BUND, der Welthungerhilfe, terre des hommes, den Ländernetzwerken und vielen anderen sowie den entwicklungspolitischen Aktivitäten des BMZ - auch innerhalb der meisten Lehrerfortbildungsinstitute Beratungsstellen, die sich neben anderen Aufgaben dieser Herausforderung stellen. In einigen wenigen Bundesländern gibt es auch Eine-Welt-Schulstellen. Doch sind die meisten dieser Einrichtungen finanziell und personell auf Sparbetrieb geschaltet und in ihrem Bestand nicht gesichert. Auch aus ihrer Sicht ist eine deutlichere Profilierung von Globalem Lernen notwendig, um bei schulpolitischen Entscheidungen Gehör zu finden. Eine erfreuliche Entwicklung in dieser Hinsicht ist, daß es im Dezember nach mehreren gescheiterten Versuchen zur Gründung des bundesweiten Verbandes der Nichtregierungsorganisationen, VENRO, kommen wird. Damit verbindet sich die Hoffnung einer Stärkung der entwicklungspolitischen Lobby und einer wirkungsvolleren Konfrontation der Öffentlichkeit mit globalen Themen. Innerhalb dieses Verbandes wird es auch eine Abteilung entwicklungspolitische Bildung geben, der es hoffentlich gelingt, in dem föderalistischen Kompetenzwirrwar zwischen Bund, Ländern Kommunen und NRO neue Akzente zu setzen und Kooperationslinien zu finden.

Mehr noch als viele andere Lernprozesse ist Globales Lernen nicht auf Schule beschränkt, es wird sich zu einer der Grundfunktionen unseres Daseins entwickeln, in der Bank nicht weniger als im Entwicklungsprojekt, auf der kommunalen politischen Ebene ebenso wie in der Außenpolitik, in unserem privaten Alltag genauso wie auf der Urlaubsreise. Zweifeln wird nur der daran, der das Globale in seiner Nähe noch nicht entdeckt hat.

Literatur

BUND/Misereor (Hg.) Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Berlin 1996

Bühler Haus: Globales Lernen - ein Beitrag zu einer Kultur des Friedens? ZEP 3/95, S.2-6

Geiger, Michael: Zukunftsorientierte Erziehung für die "Eine Welt" Praxis Geographie 4/95, S. 10- 12

Graf-Zumsteg, Christian: Globales Lernen in der Schweiz (v.a. S.6-13); Forum "Schule für eine Welt" o.J.

Hagedorn, Friedrich/Meyer, Heinz H. u.a. Eine Welt Visionen. Bevölkerung - Umwelt - Entwicklung. Beiträge zur medienorientierten Bildungsarbeit, Adolf Grimme Institut 1995

Klafki, Wolfgang: Allgemeinbildung heute - Grundzüge internationaler Erziehung Pädagogisches Forum 11/93, S.21-28

Scheunpflug, Annette/Treml Alfred (Hg.): Entwicklungspolitische Bildung. Bilanz und Perspektiven im Forschung und Lehre. Ein Handbuch. Tübingen 1993

Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder: Zum Unterricht Ober die Eine Welt/Dritte Welt" Stand März 1995, von der KMK am 12.5.95 als Zwischenergebnis zur Kenntnis genommen).

Treml, Alfred: Desorientierung überall oder Entwicklungspolitik und Entwicklungspädagogik in neuer Sicht. ZEP 1/92 S. 6-17

Quelle: Jörg-Robert Schreiber aus: ZEP 1/1996, S. 15ff

Seite zuletzt geändert am 15.12.2008 15:24 Uhr