2.  Von der Umwelterziehung zur ‚Umwelt-Bildung‘

aus: Becker: Urbane Umweltbildung... Opladen 2001 ( Gesamtbuch beim Autor zu erwerben)



2.7  Umweltbildung in den 90er Jahren

Die Gliederung dieses Abschnittes erfolgt primär einer inneren Logik der Umweltbildung der 90er Jahre, die sich von den alten Kontroversen der 80er Jahre gelöst hat: entlang ausgewählter, potentiell bildungsrelevanter und innovativer Aspekte, die die reichhaltige konzeptionelle Weiterentwicklung der Umweltbildung selbst hervorgebracht hat.[135] In diesem Abschnitt zeigt sich, inwieweit von umweltpädagogischer Seite in den 90er Jahren konzeptionelle Beiträge geliefert wurden, die in der Lage sind, das bis dahin bestehende bildungstheoretische Defizit abzubauen: Inwieweit wurden die allgemeinen Bildungsdiskurse verarbeitet, die im Abschnitt 2.6 dargestellt wurden? Wurde etwa ein Pluralismus der Umweltbildung entwickelt, der mehr ist als die schon lange existierende und in diesem Kapitel dokumentierte Pluralität unverbundener Ansätze? Umgekehrt wird zu prüfen sein, inwieweit durch die konzeptionelle Weiterentwicklung der Umweltbildung Beiträge für eine Weiterentwicklung einer allgemeinen Bildungstheorie bzw. Theorie der Allgemeinbildung geleistet wurden. Folgende zehn Aspekte bzw. Diskussionsstränge der Umweltbildung der 90er Jahre sollen herausgehoben werden:[136]

  • Kommunikation (2.7.1)

  • Kulturorientierung (2.7.2)

  • Gesellschaftskritik – Ökonomie (2.7.3)

  • Natur(erlebnis) (2.7.4)

  • Öko-Ethik (2.7.5)

  •  Region – Urbanität und Stadt (2.8)

Der letzte Punkt wird in Kapitel 5 erweitert und vertieft. Hinzu kommen weitere Aspekte, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit separat und ausführlich thematisiert:

  • Partizipation (Kapitel 3)

  • Konstruktivismus (Kapitel 4)

  • nachhaltige Entwicklung als Zukunftsperspektive (Kapitel 5).[137]

  • Umweltbewußtseins- und Umweltverhaltensforschung (5.5).[138]

Vor allem die ersten sechs Aspekte werden danach überprüft, ob und wie sie einen zu rekonstruierenden pluralistischen oder mehrperspektivischen Begriff von Umweltbildung als Teil eines aktualisierten Bildungsbegriffes und im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (Kapitel 5) mitkonstituieren. Speziell gilt es, das Verhältnis zu der Bildungstheorie von Klafki oder zu einer modifizierten Fassung seines Ansatzes im Blick zu behalten. Zunächst möchte ich einen Überblick über einige ausgewählte Versuche in den 90er Jahren geben, eine Bilanz der Umweltbildung zu ziehen und neue Perspektiven zu eröffnen. Dies wurde bereits häufig auf verschiedenen Tagungen versucht, die Klärungen vorantreiben sollten und deren Ergebnisse als Sammelbänden erschienen:

Marahrens und Stuik (1992a): Der Golfkrieg, die sich anstauenden Ohnmachts- und Angstgefühle gegenüber der sich verschärfenden Umweltkrise, die fruchtlosen akademischen Debatten und ausbleibende Erfolge der teilweise institutionalisierten Umweltbildung, das Nichterreichen von etlichen Adressatengruppen u. ä. führten zu einer Tagung, die sich mit Möglichkeiten eines nichtresignativen Umgangs mit der sich ausbreitenden „Endzeitstimmung“ auseinandersetzte. Am Ende standen keine neuen Konzepte, sondern unterschiedliche Vorstellungen und Hinweise für eine zukunftsgerichtete Umweltbildung, deren gesellschaftliche Wirkung insgesamt etwas bescheidener eingeschätzt wurde als in der Zeit zuvor. Auf die Festlegung allgemeingültiger Ziele der Umweltbildung oder qualifikatorischer Anforderungen an Umweltpädagoginnen und Umweltpädagogen wurde bewußt verzichtet, ebenfalls verzichtete man auf ein integrierendes und ‚Rezepte‘ formulierendes Nachwort der Herausgeber. Dennoch wurde die Umweltbildung als politische Bildung verstanden, und zwar in dem Sinne, daß sich Umweltbildung sowohl mit Zukunftsvisionen als auch handlungsbezogen mit mitgestaltungsorientierten Projekten beschäftigt. Umfassende Kooperationen, die Kommunikation und unter anderem daraus resultierende Vieldimensionalität einer offenen Umweltbildung wurden gegen Ausgrenzung und Dogmatismus als grundlegend festgehalten (Marahrens/Stuik 1992b, S. 162ff). Hier finden sich einige Aspekte, die mit denjenigen Tendenzen in Einklang stehen, die in 2.6.3 und 2.6.4 im Kontext einer reflektierten Moderne und gemäßigten Postmoderne und des Pluralismus angesprochen wurden.

Apel (1993): Anlaß war hier eine kritische Bilanz der Erwachsenenbildung und darüber hinaus der Entwicklung der Umweltpädagogik allgemein. Nach einer Aufbruch- und Ausbauphase, die von heftigen Debatten um die richtige Umweltbildung geprägt waren, stand nach Apel nun eine Konsolidierungsphase an, in der neue Perspektiven entwickelt werden müssen. Der von de Haan (1993) in diesem Sammelband unterbreitete Vorschlag eines „kulturorientierten Programms der Umweltbildung“ (ausführlicher in 2.7.2) räumt mit einigen bisherigen Postulaten und Vorstellungen der Umweltbildung mit Hilfe konstruktivistischer und postmodernistischer Argumentationen radikal und provozierend auf.

Seybold/Bolscho (1993): In dieser Festschrift[139] ist aus heutiger Sicht interessant, daß Reichel (1993, S. 32) als Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft forderte, ökonomische, soziale und politische Implikationen ökologischen Denkens und Handelns in der Umweltbildung zu thematisieren. Dies ist ein frühes Plädoyer für eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, kurz nach der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 und der dort beschlossenen Agenda 21 (s. Kapitel 5). In anderen Beiträgen dieses Sammelbandes wird eher der traditionelle Bereich der verstehenden und erlebenden Beziehung zur Natur und der Ökologie unterstützt (s. 2.7.4).

Schreier (1994a): Dieser Buch dokumentiert Referate einer Veranstaltung des Deutschen Umwelttages Wie weiter mit der Umwelterziehung von 1992, die Ausdruck einer als Krise empfundenen Situation der Umwelterziehung war. Der Herausgeber charakterisierte diese Krise durch die damals zu beobachtende politische Abwendung von der Umweltpädagogik, die sich einstellende Ernüchterung über ihre Wirkung und durch eine gewisse Erstarrung der etablierten verbandsbezogenen Umwelterziehung (Schreier 1994a, Vorwort). Schreier rekonstruiert die Geschichte der Umwelterziehung über ihre methodischen Ansätze als Geschichte der didaktischen Auseinandersetzungen mit den Herausforderungen der Sinnesferne der Umweltzerstörung und entwickelt die Perspektive einer ethisch ausgerichteten „Planet-Erde-Philosophie“, mit der Umwelt-Bewußtsein gebildet werden soll (Schreier 1994a, S. 27). Trotz aller Unterschiedlichkeit der Einzelbeiträge dominiert ein Verständnis einer ganzheitlichen, stark naturbezogenen Bildung (s. 2.7.4).

Greenpeace (1995): Nach einem Sammelband zum aktuellen Thema Umweltängste – Zukunftshoffnungen (1992) schaltet sich Greenpeace drei Jahre später zum zweiten Mal mit einer Buchpublikation in die Umweltbildungsdiskussion ein. Mit Bezug auf das Umweltgutachten 1994 des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) wurde nun auf einen umfassenderen Umweltbildungsbegriff gesetzt, der im Kontext einer dauerhaft-umweltgerechten, also nachhaltigen Entwicklung formuliert wird. Dies bedeutet, daß sich Umweltbildung stets mit den regionalen Bedingungen und den individuellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebensumständen beschäftigen muß. Sonst besteht die Gefahr, mit Appellen auf Individuen zu treffen, die von der Dimension der Probleme überfordert sind, was Ängste, Verzweiflung und Resignation auslösen könnte. Eine Umweltbildung sollte konkret, lebensnah, sozial und vernetzt sein. Sofern sie in der Erfahrungswelt junger Menschen ansetzt und Naturerlebnisse, kulturell unterschiedliche Wahrnehmungen und gemeinsam erarbeitete Handlungsmöglichkeiten einbezieht, kann sich gemeinsames, gesellschaftlich relevantes Erkennen, Handeln und Verantwortungsbewußtsein entwickeln und dies als Gewinn an Lebensqualität erlebt werden. (Greenpeace 1995, S. 8). De Haan und Kuckartz stellten in diesem Band erstmals Ergebnisse der Umweltbewußtseinsforschung vor, die für die Umweltpädagogik ernüchternd und desillusionierend sind (s. Kapitel 5). Aus den Ergebnissen über den Zusammenhang von Umweltbewußtsein und räumlicher Nähe bzw. Ferne leiteten die Autoren die besondere Bedeutung eines lokalen Ansatzes ab, soweit es gelingt, „glaubwürdige Verbindungen zwischen globalen Problemlagen und der nichtmedialen Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen zu stiften.“ Die Auseinandersetzung mit der Nahumwelt, den lokalen Gegebenheiten (s. 2.8) könnte ein Weg sein zwischen den Fallstricken einer individuumzentrierten Umweltbildung und den Belanglosigkeiten eines ferninduzierten Umweltbewußtseins (de Haan/Kuckartz 1995, S. 28f). Im gleichen Band erklärt Reichel die „ökologische Kompetenz“ zum allgemeinen Bildungsziel[140] und mahnte angesichts gelingender Innovation (in Modellversuchen u. a.) und mißlungener Bildungsplanung eine systematische Umweltbildung(spolitik) an, insbesondere auf regionaler Ebene (Reichel 1995, S. 44ff). Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge wurde insgesamt das traditionelle Ökologieverständnis deutlich erweitert und soziale und handlungsbezogene Aspekte in den Lernprozessen berücksichtigt.

Schleicher/Möller (1997a): Vor dem Hintergrund der Diskrepanz zwischen dem Postulat der Interdisziplinarität der Umweltbildung und den großen Schwierigkeiten, es in den verschiedenen Praxisfeldern der Bildung zu realisieren, legten die Autorin und die Autoren dieses Bandes einen bescheideneren pädagogischen Ansatz einer mehrperspektivischen Erschließung vor. Darunter wurden nicht nur verschiedene fachlich-wissenschaftliche Zugänge verstanden, sondern auch interessen- und mediendefinierte Perspektiven. Bildungstheoretisch entscheidend ist nun der Vorschlag des bewußten Perspektivwechsels und der Perspektivvernetzung, weil dies die Findung einer eigenen Position erleichtert. Erkenntnistheoretisch wurde damit ein wichtiger Beitrag zur (Re)Konstruktion von Umwelt in einer Situation komplexer und unsicherer Zusammenhänge geleistet (s. Kapitel 4). Politisch wird damit die demokratische Lösung ökologischer Konflikte unterstützt, der Perspektivwechsel bemüht sich um vermehrte Teilhabe (vgl. Kapitel 3) und ökologische Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger (vgl. Möller 1997, S. 309ff). Insgesamt könnte sich der Ansatz produktiv für die Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung erweisen (vgl. Schleicher 1997).

Diese Bilanzen kamen zwar insgesamt nicht zu eindeutigen Ergebnissen, einige Tendenzen lassen sich aus heutiger Sicht aber dennoch ablesen: Während in den 80er Jahren hauptsächlich - z. T. heftige - theoretische Debatten um die richtigen Konzepte geführt wurden, ohne daß sich eine bestimmte Richtung durchsetzen konnte, erhoben die 90er Jahre die existierende und weiter sich steigernde Vielfalt zum faktischen Programm. Außerdem ist eine realistischere Betrachtungsweise der Möglichkeiten der Umweltbildung eingekehrt. Dies kommt auch in dem sich als eine Art Handbuch verstehenden Sammelband Beyersdorf/Michelsen/Siebert (1998) zum Ausdruck, in dem im Vorwort zur „realistischen Wende“ zu lesen ist:

Überblickt man die bisherige Entwicklung der Umweltbildung, so kann man eine Ernüchterung und eine ‚realistische Wende‘ der Öko-Pädagogik feststellen. Umweltbildung - auch als ökologische Qualifizierung - ist zur Normalität geworden, wird aber nicht mehr als Hebel für einen gesellschaftlichen Wertewandel überschätzt. Umweltbildung nimmt die überwiegend pragmatischen Lernmotive und Mentalitäten der Adressatinnen ernst und verzichtet auf gesinnungsethische Belehrungen und Umerziehungsversuche. Umweltbildung erreicht vor allem die bereits ökologisch Aufgeschlossenen und wird vorhandenen Qualifizierungs- und Bildungsbedürfnissen gerecht. Umweltbildung beansprucht nicht (mehr), verbindliche Antworten für ökologische Probleme parat zu haben, sondern sie bietet Lernhilfen für den verantwortlichen Umgang mit solchen komplexen und meist auch kontroversen Problemen an. Zwar kann Umweltbildung auf eine kritische Reflexion der herrschenden Werte und Normen nicht verzichten, aber auf den Anspruch, das »richtige« Bewußtsein zu vermitteln. Didaktisch hat sich die Suche nach einem ‚Königsweg‘ des Lehrens und Lernens als unergiebig erwiesen; statt dessen gilt es, Phantasie für die Mannigfaltigkeit zu wecken. So kommt es nicht darauf an, ein ‚neues‘ Denken zu erfinden, sondern die vorhandenen Lern- und Denkstile aufgabenbezogen zu optimieren. So ist inzwischen auch der Richtungsstreit zwischen institutionalisierter und alternativer Bildungsarbeit bereinigt: selbstorganisierte und schulische Lernaktivitäten verhalten sich komplementär zueinander. Anzustreben ist ein Netzwerk von Bildungsangeboten, das der Vielfalt der ökologischen Aufgaben, Lernanlässe und Zielgruppen gerecht wird. (Beyersdorf/Michelsen/Siebert 1998, S. 5)

2.7.1  Umweltkommunikation

Die soziologisch-systemtheoretische Schrift Ökologische Kommunikation von Luhmann (1986), die der Frage nachging, welche Möglichkeiten moderne, funktional hoch differenzierte Gesellschaften haben, mit den ökologischen Problemen umzugehen, erbrachte – gemessen am damaligen Ökologie-Diskurs – eine ungewöhnliche Sichtweise und Verwendung der Begriffe Umwelt, Kommunikation und Ökologie.[141] In den Konsequenzen wurden vor allem die engen systemischen Grenzen umweltpädagogischer Arbeit und ökomoralischer Ansprüche sowie mögliche Gründe dieser Grenzen aufgezeigt.[142] „Meine These ist, daß die Aufgabe einer ökologischen Lehre und einer ökologischen Unterrichtspraxis eine Frage an die Gesellschaftstheorie ist.“ (Luhmann 1989, S. 30)

Speziell mit der Umweltkommunikation der Umweltpädagoginnen und ‑pädagogen beschäftigte sich in ganz anderer Absicht Kahlert (1990) und entwikkelte in den Folgejahren den Ansatz der verständigungsorientierten Kommunikation. Ausgangspunkt war seine These, daß die hohe Komplexität der ökologischen Probleme die Sachkompetenz und das Orientierungsvermögen jedes einzelnen Menschen, auch das der praktizierenden Umweltpädagogen deutlich überschreitet, so daß faktisch unüberprüfte (Alltags)Vorstellungen Basis des Denken und Handelns sind. Von daher definierte Kahlert gegenüber solchen Alltagsvorstellungen den besonderen Aufklärungsauftrag der umweltpädagogischen Literatur, Informationen und Orientierungen über den Stand unserer Umwelt, über die Ursachen der Umweltkrise und über die Bedingungen eines wirksameren Umweltschutzes zu bieten. In einer detaillierten sozialwissenschaftlichen Untersuchung[143]der bis dahin entstandenen, umfangreichen umweltpädagogischen Literatur stellte Kahlert mit einem vernichtenden Urteil fest, daß dort begriffliche Unklarheiten, implizite pauschale Annahmen über Mensch und Gesellschaft, Einseitigkeiten der Darstellung herrschen und Begründungen für weitreichende Veränderungsansprüche fehlen. Deshalb sei diese Literatur dazu geeignet, die verkürzenden ‚Alltagstheorien‘ über die ökologische Krise nur zu bestätigen, inhaltsleere, unrealistische und unbegründete Ansprüche an den Einzelnen und die Gesellschaft zu fördern und damit einer „gesinnungsorientierten Kommunikation“ Vorschub zu leisten. Nach Kahlert wird dadurch die Verständigung über die Gesellschaft sowie die Verständigung in der Gesellschaft und damit der umweltpolitische Fortschritt behindert, der zunehmend auf eine verständigungsorientierte Kommunikation auf allen gesellschaftlichen Ebenen bis hin zur global-internationalen Ebene angewiesen ist. Da diese Kommunikation im professionellen Bereich auf einem sehr hohen sachbezogenen Niveau läuft, fürchtete Kahlert als Konsequenz eine Zweiteilung der Gesellschaft, die Lösungen politisch unmöglich mache und die im Widerspruch zu den umfassenden Partizipationsansprüchen stehe, die gleichzeitig gewollt werden (s. Kapitel 3). Kahlerts Empfehlung an die Umweltpädagogik lautete, die Kompetenz zur verständigungsorientierten Kommunikation über die Umweltkrise zu erhöhen: durch Verzicht auf allgemeine Begriffe und Kollektivsubjekte („ökologisch“, „entfremdet“, „ganzheitlich“, „der Mensch“, „die Gesellschaft“), durch Begrenzung auf überprüfbare Informationen und Ergebnisse wissenschaftlicher Umweltforschung und durch den Hinweis auf methodische und erkenntnistheoretische Schwierigkeiten und/oder ihren begrenzten Gültigkeitsbereiche von Aussagen.

Während die bloße Ausklammerung von Begriffen, die den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen, meiner Ansicht nach keines der diagnostizierten Probleme löst, sondern technokratischen Lösungen Vorschub leistet, ist die reflektierte und überprüfbare Verwendung von Informationen – wenn sie kein Ausschlußkriterium ist – eine wissenschaftliche und pädagogische Selbstverständlichkeit, die möglicherweise in der Praxis zu wenig Beachtung findet. Die dabei von Kahlert unterstellte Möglichkeit einer gesinnungs- und damit auch wert- und einstellungsfreien Kommunikation entstammt jedoch einem überholten und naiven positivistischen Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnis. Im Rahmen einer kritischen und pluralistischen Bildungsarbeit müssen zugrundeliegende Einstellungen bzw. Gesinnungen offengelegt, reflektiert und möglichst auch verändert werden.

Eine grundlegende Kritik an diesem verständigungsorientierten Ansatz (in seiner Fassung bis 1992) leistete de Haan, der Kahlert seinerseits vorwirft, damit eine „wie auch immer von Rationalität und Reflexion geprägte Weltsicht der Kommunizierenden zum Ziel“ zu haben und damit „dogmatisch“ und „gesinnungsorientiert“ zu sein. Den ganzen Ansatz kritisierte de Haan in postmoderner Sprache als „Erzählung von der Verständigung in der Umweltkommunikation“ (de Haan 1993, S. 147). Begründet wird diese Kritik hauptsächlich mit Argumenten des Radikalen Konstruktivismus (zu dessen Kritik s. Kapitel 4), ja es wird von daher sogar Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer Verständigung formuliert, insbesondere angesichts der unterschiedlichen Wissensformen (de Haan 1993, S. 153). In direktem Gegensatz zur Verständigungsorientierung versteht de Haan Umweltkommunikation und Verständigung als „Differenzpflege und Zulassen von umweltbezogenem Handeln auf Basis von Akzeptanz der Sicht und Wünsche von anderen“ (de Haan 1993, S. 154) und rückt mit Bezug auf Luhmann (1992, S. 149ff) das Nichtwissen in den Mittelpunkt der Umweltkommunikation, auch das Nichtwissen über die Folgen des eigenen Handelns, das für ihn das zentrale Dilemma umweltbezogenen Handelns darstellt.

In weiteren Aufsätzen seit 1991 rückte Kahlert die kommunikative Dimension der Umweltbildung verstärkt und in modifizierter Form in den Vordergrund und kommt dabei der eben zitierten Kritik von de Haan faktisch ein Stück weit entgegen (s. u.).[144] Die Bedeutung der Kommunikation, die in den letzten Jahren zu einem zentralen Begriff der Umweltbildung und Umweltpolitik wurde, liegt zunächst darin, daß Umweltprobleme nur dann als existierend angenommen werden, wenn darüber gesellschaftlich kommuniziert wird: die Kommunikation bestimmt die Problemlage.[145] Da nach Kahlert offenbar auch die umweltpädagogische Kommunikation der Dialektik der Aufklärung im Sinne von Adorno/Horkheimer (1980) unterliegt, formuliert Kahlert zugespitzt die These, daß die Umweltkrise weniger eine Herausforderung im Verhältnis des Menschen zur Natur darstellt, als eine Herausforderung an den kommunikativen Umgang darüber (Kahlert 1996, S. 139).

Statt Gesinnungsbildung zu betreiben, eine unmittelbare „Anstiftung des Handelns“ (Kahlert 1996, S. 145) im Hinblick auf bestimmte Handlungsmuster anzustreben, auf allgemeine moralische Verhaltensnormen verpflichten zu wollen[146] oder vordergründigen distanzlosen, unreflektierten umweltpädagogischen Aktionismus und diffus-harmonische Ganzheitlichkeit zu betreiben, schlug Kahlert folgendes vor: Der Schwerpunkt soll zum einen auf die Entscheidungskompetenz als Voraussetzung von Umwelthandeln gelegt, zum anderen sollen die Chancen einer verständigungsorientierten Kommunikation erhöht werden: Ein genaueres Nachdenken und Reden und eine „Verfeinerung des Urteils“ über Umweltprobleme soll in den Vordergrund gestellt werden. Beispielsweise sollen Wertaussagen und Tatsachenfeststellungen auseinandergehalten (was häufig nicht ganz möglich ist) und dabei urteilsleitende Werte, Gefühle und Interessen bewußt gemacht werden. Weiterhin sollen subjektive Risikoeinschätzungen und ‑urteile untereinander verglichen (Kahlert 1992 u. 1996) und möglichst reichhaltige Mehrperspektivität anstrebt werden, die jedoch keine Komplettheitsansprüche beinhaltet. Schließlich soll sich die verständigungsorientierte Kommunikation diskursiv damit beschäftigen, „was in Staat, Gesellschaft und Wissenschaft strittig ist: Einschätzungen, Erklärungen und Lösungen des Umweltdilemmas“, was auch „Systemkritik“ einschließt (Kahlert 1996, S. 155). Jedoch soll diese Thematisierung nur soweit erfolgen, wie sie für die Lernenden bzw. Kommunizierenden nachvollziehbar ist – nach dem Motto „Nur so viel Aufklärung wie Erfahrung möglich ist“ (frei nach von Hentig 1975, S. 128ff).[147]

Kahlert konstatiert, daß das Auseinanderfallen verbindlicher Werte, die immer neu interpretiert werden müssen und die reale soziokulturelle Ausdifferenzierung von Lebenslagen und Lebensstilen, die verschiedene Interpretationen nahelegen, es zunehmend unwahrscheinlich machen, auf die gesellschaftlichen Probleme und Fragen allgemein akzeptierte oder gar richtige Antworten zu finden. Dann schwindet aber die Aussicht auf eine verständigungsorientierte Kommunikation, wie sie Kahlert ursprünglich allzu rationalistisch vorgesehen hatte (s. o.). Die Verständigungsorientierung soll aber nicht einen Konsens vorwegnehmen oder vortäuschen, sondern in den Kommunikationsbedingungen Möglichkeiten der gehaltvollen Dissensaustragung,[148] der Mitwirkung an der Problemdefinition und der Einigung auf Konsensmomente zur Sache erst herstellen oder vorbereiten (Kahlert 1996, S. 147). Pädagogische Umweltkommunikation, die sich von eher zielgerichtet angelegten, alltäglichen oder politischen Kommunikationsformen im Umgang mit Differenzierungen und Dissens unterscheiden sollte, trägt dazu bei, die Selbstbestimmungs- und Partizipationsfähigkeit zu verbessern (Kapitel 3) und verstärkt indirekt die Chance einer erhöhten Qualität der öffentlichen Umweltkommunikation (Kahlert 1996, S. 149).[149]

An dieser Stelle ist es angebracht, etwas zu dem Begriff Umweltkommunikation zu sagen, der zunehmend die sozialwissenschaftliche und politische Umweltdiskussion bestimmt. Seit Umweltfragen zu einem festen Bestandteil öffentlicher Themen geworden sind, ist es sinnvoll die ablaufenden Prozesse in kommunikations- und diskurstheoretischen Kategorien zu betrachten und zu analysieren, denn Umweltthemen werden im wesentlich durch öffentliche Kommunikation gemacht und diese ist – so meine Hypothese – heute der Hauptfaktor der Veränderung des Umweltbewußtseins, nicht des Umweltverhaltens (vgl. de Haan/Kuckartz 1996a, S. 86ff). Von daher ist das Thema ökologische Umweltkommunikation auch für die Umweltbildung von hoher Bedeutung (s. auch de Haan 1995a). Für den schulischen Bereich gilt dies sowohl im Sinne einer zu berücksichtigenden Rahmenbedingung als auch als wichtiges Thema für Lernprozesse.

Brand, Eder und Poferl (1997) haben eine Theorie der ökologischen Kommunikation entwickelt, der es um die Analyse der Reproduktions- und Entwicklungsbedingungen von ökologischen Diskursen geht. Die offensichtliche Eigendynamik der Kommunikation hängt nicht nur von Interessenstrukturen ab, sondern von Normen und Werten, die diesen auch entgegenstehen können. Es wird angenommen, daß Umweltthemen dann reproduziert und hoch bewertet werden, wenn sie in bereits vorhandene gesellschaftliche Interpretationsmuster der Welt passen[150], wenn sie rhetorische Kraft entfalten, wenn sie Resonanz[151] erzeugen und wenn die Beteiligten hinreichend Sinn darin sehen. Die Betonung liegt auf den umweltbezogenen Kommunikationsprozessen der sozialen Akteure und auf den Organisationsprozessen der Umweltdiskursen. Zentrale Bedeutung haben diejenigen sozialen Akteure (Protestakteure, deren Gegenspieler, politische und ökonomische Akteure, Medienakteure), die öffentliche Kommunikation in Gang setzen, vermitteln und durch wirksame Formulierungen und Symbole vorantreiben. Die (Handlungs- und Einstellungsentscheidungen der) Zuhörer von Umweltdiskursen haben in diesem theoretischen Ansatz nur sekundäre Bedeutung, sind nur (passives) ‚Publikum‘, das diese ökologische Kommunikation in sehr unterschiedlicher und nur schwer vorhersehbarer Form verarbeitet. Gleichwohl können die Reaktionen dieses Publikums sehr wichtig werden, da die Rückwirkungen des praktischen Umweltverhaltens die materielle Seite der Krisenentwicklung mitbestimmen.

Man könnte die in der ökologischen Kommunikation entstehenden „Umweltkulturen“ im Sinne einer „kulturalistischen“ Erklärung auf historische Wurzeln zurückzuführen, etwa auf gegenkulturelle Traditionen des westlichen Naturverständnisses (z. B. romantische Traditionen). Dagegen wird von der Diskurstheorie ökologischer Kommunikation angenommen, daß solche historischen Traditionen von sozialen Akteuren nur als „symbolische Ressourcen“ für die Konstruktion einer Umweltkultur benutzt werden, also nur als Hilfsmittel dienen, um eine spezifische „Umweltkultur“ zu produzieren und zu reproduzieren. In diesem Sinne bricht Ökologische Kommunikation die Macht kultureller Traditionen oder relativiert sie zumindest.

Die Umweltprobleme ‚existieren‘ weitestgehend erst nach einer Thematisierung und Beschreibung durch Medien und Experten, die widersprüchliche Fassungen wissenschaftlicher Problemkonstrukte vorlegen – insbesondere im sog. Risikodiskurs. In der öffentlichen, massenmedialen Debatte über komplexe Themen spielen immer mehr „Frames“ in Gestalt von Bildern, Metaphern und Symbolen (Metaphorisierung), aber auch moralische Vorstellungen, kulturelle Traditionen in der oben beschriebenen Funktion als „symbolische Ressourcen“ eine entscheidende Rolle. Geringere Bedeutung hat nach dieser Theorie das, was aus der persönlichen, existentiellen Erfahrung, individuellen Meinungen und Einstellungen, aus eingeübten Mustern der Wahrnehmung der Welt entspringt. Man muß hier die Frage nach den pädagogischen Konsequenzen einer solchen rein soziologischen Sichtweise ziehen. Pädagogisch und politisch falsch oder zumindest kurzschlüssig wäre meiner Auffassung nach die Konsequenz, auf die Ermöglichung von unmittelbaren Erfahrungen zu verzichten. Im Gegenteil sollten sowohl aus pädagogischen (s. 2.8) als auch lokal-partizipatorischen Gründen (s. Kapitel 3) alle Möglichkeiten erschlossen und genutzt werden. Die Tendenz der schwindenden Erfahrungsmöglichkeiten darf nicht ignoriert, sondern sollte pädagogisch ausdrücklich thematisiert werden. Das gleiche gilt auch für das Problem, daß der ökologische Diskurs auch durch Machtverhältnisse bestimmt wird, die in der (Un)Fähigkeit bzw.(Un)Möglichkeit von sozialen Akteuren zum Ausdruck kommen, durch geeignete Kommunikationsstrategien „kulturelle Resonanzenzu mobilisieren. Ob nun„Frames“ und/oder kulturelle Traditionen – mit oder ohne „Kulturalismus“ – als theoretische Grundlage gewählt werden: kritische Bildungsarbeit sollte sich diese konstitutiven Grundlagen bewußt machen und reflektieren.

Im engen Zusammenhang mit der Entwicklung der ökologischen Kommunikationskultur steht der Prozeß der Partizipation von sozialen Akteuren an politischer Meinungs- und Entscheidungsfindung, der auch neue institutionelle Formen, insbesondere der Konfliktregelung hervorbringt.[152] An die Stelle konfrontativer Konflikte treten dialogische Verfahren sozialer Verständigung über unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen von Risiken und Problemen, eine reflexive Rationalisierung von Verfahren der Dissensklärung und Konsensfindung an die Stelle reiner Konfrontation. Hier gibt es eine direkte Verbindung zum verständigungsorientierten Umweltbildungskonzept von Kahlert und zu den zugrundeliegenden politischen Motiven.[153]

Bei Klafki ist die kommunikative Seite der Bildung weniger deutlich ausgeprägt. Wegen seiner Ablehnung postmoderner Gedanken (vgl. Anmerkung in 2.6.3) müßte er gegen eine „Dissens- oder Differenzorientierung“ eingestellt sein. Statt einer entsprechenden Kommunikationsfähigkeit finden sich in seiner Bildungstheorie „Argumentationsbereitschaft und ‑fähigkeit“ sowie „Empathie“ (Klafki 1993, S. 63 und 2.1).

2.7.2  Kulturelle Orientierung

Für die kulturelle Dimension der Umweltbildung, die in den 90er Jahren stark an Bedeutung gewann, gab es unterschiedliche Ausgangspunkte, Begründungen und Perspektiven, von denen hier in historischer Reihenfolge fünf Beispiele vorgestellt werden: Becker (1989b u. 1989c), de Haan (1993), Glöckner (1995), Frech und Halder-Werdon (1997) sowie Mertens (1997 u. 1998).

Das Denken der Moderne ist in bezug auf Natur von Gegensätzen geprägt: Natur – Gesellschaft, Natur – Technik, Natur – Mensch und insbesondere Natur – Kultur. Natur kann nur zusammen mit diesen Gegenbegriffen verstanden und definiert werden. Während sie dabei in der dominierenden Strömung modernen Denkens in der Regel der Gesellschaft, der Technik, der Kultur und letztlich dem Menschen untergeordnet wird, verstanden sich große Teile der Umweltpädagogik der 80er Jahre als Gegenbewegung: Sie beanspruchten – wenngleich oft in unreflektierter Weise – sich meistens entweder direkt an ‚der Natur‘ zu orientieren (Ökologisches Lernen) oder die Naturwissenschaften als ihr Hauptgrundlage zu nehmen (Umwelterziehung als Konzept). Diese Tendenz wurde von der Ökopädagogik (2.3.2) kritisiert, die stark von gesellschafts-wissenschafts-, aber auch kulturkritischen Überlegungen und Motiven geprägt war. Mein eigenes umweltpädagogisches Denken im Kontext der Ökopädagogik war von einem dialektischen Verständnis von Natur geprägt, das die kulturelle Dimension in einem bestimmten Verständnis einschloß.[154] 1989 schlug sich dies explizit in einer Doppelveröffentlichung einer umweltpädagogischen Zeitschrift nieder (Becker 1989b u. 1989c), die sich selbst zunehmend bemühte, die kulturell-ästhetische Seite inhaltlich und gestalterisch zu betonen.[155] Auszugsweise werden nun einige Thesen zitiert.[156] Bei dieser Argumentation wurde – was sich damals im wissenschaftlichen Bereich durchzusetzen begann – ein sehr weiter Kulturbegriff verwendet, der die Lebenswelt einschließt: „Gesamtheit der alltäglichen materiellen und symbolischen Lebensweise bis hin zur grundsätzlichen Frage nach der Kunst zu leben bzw. zu überleben“ (Becker 1989b, S. 40):

These 1: Die ökologische Krise ist Ausdruck eines gestörten bzw. entfremdeten Zusammenhangs und Umgangs der Menschen der industriellen Zivilisation mit der Natur in ihrer von ihnen weitgehend selbst gestalteten oder hervorgerufenen Form, d. h. sie ist insbesondere eine fundamentale Krise der modernen Kultur.

These 4: Zur wirklichen Überwindung der ökologischen Krise bedarf es vor allem der Entfaltung neuer, umfassender Kulturen der vielfältigen Beziehungen zur Natur ...

These 5: Ökologisch orientierte Bildungsarbeit sollte vorrangig vielfältige neue Kulturpraxis fördern, die sich des individuellen und gesellschaftlichen Verhältnisses zur Natur und Umwelt bewußt annimmt. Eine solche ökologisch orientierte Kultur- und Bildungsbewegung könnte eine kritisch-transzendierende und vermittelnde Rolle spielen zu und zwischen rationalen ökologisch-politischen Ansprüchen bzw. ‚Notwendigkeiten‘ und subjektiven Bedürfnissen und Interessen der Menschen.

These 6: Eine in obigen Sinne kulturell und ökologisch orientierte Bildung könnte die wichtigsten Erwartungen abdecken, die man überhaupt an Bildung stellen kann, die einen Beitrag zur Überwindung der ökologischen Krise leisten soll, z. B.

        Förderung ökologischer Sensibilität/Wahrnehmungsfähigkeit

        praktisches Erproben von Elementen eines neuen Verhältnisses zur Natur und Entwürfe von Handlungsstrategien

        Gewinnung von utopischen „Leitideen“, die für ein qualitativ neues, vielfältiges Naturverhältnis Orientierungen bieten können (z. B. „Naturallianz“)

        aber auch: (Er)Kenntnis und Reflexion aller Erscheinungsformen und Ursachen des derzeitigen entfremdeten Verhältnisses zur Natur und der angebotenen Alternativen in kritisch-aufklärerischer Absicht.

These 8: Es ist eine Zukunftsaufgabe ökologisch orientierter Bildungsarbeit, die Geschichtlichkeit unserer ökologischen Situation zu begreifen, insbesondere hinsichtlich ihrer soziokulturellen Dimension und Ursachen.

These 9: Naturwahrnehmung und -empfindung (das Naturschöne) sowie die kreative und vielfältige Gestaltung des menschlichen Verhältnisses zur Natur sind für eine offene und lebenswerte Zukunft besonders wichtig. Deshalb ist die ästhetische und künstlerische Seite ein unverzichtbarer inhaltlicher und gestalterischer Bestandteil einer ökologisch orientierten Bildung.

These 10: Das Thema Natur in der Stadt ist ... pädagogisch besonders gut für ökologisch orientierte Bildungsarbeit geeignet, weil die Stadt in dichter Form das Spektrum der Probleme Natur, Kultur, Technik und Gesellschaft in seiner ganzen Komplexität repräsentiert. (Becker 1989b, S. 40-44 und 1989c, S. 56-58) [157]

Die politisch-ökologische Ambivalenz einer solchen kulturellen Orientierung hatte ich damals reflektiert, vor allem für die Fälle einer Beschränkung auf bloße Ästhetisierung oder auf kompensatorische Funktionen, wodurch das gesellschaftliche Naturverhältnis nicht weit genug verändert werden kann.[158]

Am bekanntesten wurde der Vorschlag eines Programms einer kulturorientierten Umweltbildung durch de Haan (1993, S.158ff), das als Alternative zum Modell einer verständigungsorientierten Kommunikation von Kahlert (s. 2.7.1) und anderen „kursierenden Vereinheitlichungsprojekten“ präsentiert wurde. Es ist kaum bestreitbar, daß die Wahrnehmung von ökologischen Phänomenen und deren kommunikative Verarbeitung als ökologische Probleme kulturell und von Konventionen geprägt ist. Ökologische Probleme spiegeln weder Zustände von Natur und Umwelt wider, noch können sie aus objektiven Erkenntnissen über die Natur „da draußen“ abgeleitet werden. Auf Basis einer solchen Sichtweise definierte de Haan Umweltbildung als kulturkritische Auseinandersetzung mit dem „Kulturphänomen Umweltwahrnehmung“. Damit erfolgte einerseits eine Abgrenzung z. B. gegenüber bloßem naturwissenschaftlichen Unterricht, der sich als Ausdruck seiner Modernität auch mit ökologisch-naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigt (de Haan 1993, S. 163) und gleichzeitig eine Entlastung der Umweltbildung bewirkt.[159] Andererseits sieht de Haan in der Verwendung eines modernen Kulturkonzepts den Vorteil des Relativismus, der nicht mehr zuläßt, normativ positive oder negative Urteile zu fällen, sondern „einem eher von Toleranz geprägten Gestus in den Auseinandersetzungen zu folgen“ (de Haan 1993, S. 162).

Wir können uns via Umweltbildung über Umwelt verständigen, ohne die Sicht auf Naturphänomene mit anderen teilen zu müssen, in dem wir akzeptieren, wie andere über Natur denken und ihr begegnen, oder aber tolerieren bzw. ablehnen, wie andere in der Umwelt handeln wollen. Letztlich scheint mir derzeit nirgends besser das allenthalben herrschende Nichtwissen im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft unserer Umwelt wie die Unsicherheit hinsichtlich eines umweltgerechten Handelns kommunizierbar als in einer reflexiven Umweltbildung, die Differenzen kultiviert. (de Haan 1993, S. 165)[160]

Im Rahmen dieses Beitrags kritisierte de Haan überdies einige bis dahin als selbstverständlich geltende Postulate der Umweltbildung und stellte sie in Anlehnung an den in 2.6.3 vorgestellten Postmodernismus von Lyotard (1986) und auf Basis einiger Aussagen des Radikalen Konstruktivismus und Postmodernismus als „Erzählungen“ bzw. „Fabeln“ grundlegend in Frage: das gefährdete Überleben der Menschheit als Begründung von Umweltbildung, die Strategie der Hebung des Umweltbewußtseins durch Umweltbildung als Lösung, die normative Gesinnungsorientierung der Umweltbildung und der Verständigung in der Umweltkommunikation. In diesen Argumentationen kommen radikal-konstruktivistische Grundpositionen (s. Kapitel 4) sowie ein Kulturrelativismus bzw. ‑pluralismus zum Ausdruck, in dem de Haan ausdrücklich einen Vorteil gegenüber solchen Konzepten der Umweltbildung sieht, die einen Gesellschaftsbegriff zugrundelegen.

Dieser Beitrag von de Haan war ein wichtiger Impuls für die Selbstreflexion und Fortentwicklung der damals festgefahrenen Situation der Theorie der Umweltbildung in Deutschland, die sich in den 80er Jahren in hartnäckig und mit Absolutheitsansprüchen ausgetragenen, letztlich unfruchtbaren Richtungs- und Begriffsstreitigkeiten ergangen hatte. Obwohl Kulturrelativismus und Konstruktivismus genug Anlaß zur kontroversen Diskussion und konstruktiven Weiterentwicklung der Grundlagen der Umweltbildung bieten, fand ein solcher Prozeß bislang kaum statt.

Auf einer ganz anderen theoretischen Grundlage wurde der kulturbezogene Ansatz von Glöckner (1995) entwickelt. In Abgrenzung von vielen anderen umwelt- und naturpädagogischen Konzepten geht er davon aus, daß es der Umwelterziehung nicht nur um Natur und Überleben gehen darf, sondern um ein menschengemäßes und menschenwürdiges Leben. Deshalb fordert Glöckner, in das zugrundezulegende Umweltverständnis auch „kulturelle Komponenten“ und anthropologische Aspekte einzubeziehen (Glöckner 1995, S. 12). Nach der anderen Seite grenzt sich die Autorin von rein mitwelt-, gesellschafts- und systemorientierten Ansätzen ab. Theoretische Basis ihres Ansatzes ist ein biologisch-kulturökologisches Verständnis von Kultur, das die drei Aspekte Evolution, Korrelativität/Vernetztheit und Selbstorganisation/Eigendynamik umfaßt und evolutionstheoretische, systemische und synergetische Betrachtungsweisen zu integrieren sucht (Glöckner 1995, S. 53ff). Danach gibt es keinen Dualismus von Mensch und Natur oder von Kultur und Natur, sondern Kultur ist integraler Bestandteil der natürlichen Evolution. Dieses Kulturverständnis bringt einige Erkenntnis- und Konzeptvorteile für eine darauf aufbauende Umweltbildung:

Indem anthropologische Bedingungen und als Korrelat die technischen, sozialen, ästhetischen und ethischen Komponentenvon Kultur in die Umwelterziehung Eingang finden, vergrößert sich die Anzahl der in die Problemerörterung eingehenden Faktoren, und damit die Wahrscheinlichkeit, daß die Realität in ihrer Komplexität ein Stück weit exakter abgebildet werden kann und so angemessenere und effektivere Lösungsvorschläge zur Bewältigung der ökologischen Krisensituation gefunden werden können. (Glöckner 1995, S. 173)

Fragwürdig ist aber der erkenntnistheoretische Realismus (vgl. Kritik in Kapitel 4) und die reduktionistische Kulturauffassung. Die Umsetzung im Unterricht, die an illustrierenden Beispielen erfolgt, orientiert sich zu stark daran, abstrakte Theoreme des biologisch-kulturökologischen Ansatzes zu vermitteln.[161] Diese sind nicht in der Lage die pädagogische relevante, konkrete historische Kultur in ihrer soziokulturellen Differenzierung zu erfassen.

Frech und Halder-Werdon (1997) gehen in ihrem Sammelband von der Diskrepanz zwischen Umweltbewußtsein, Umweltwissen und alltäglichem Handeln aus und konstatieren, daß aufklärende, appellative und moralische Vorgehensweisen in der Umweltbildung offenbar nicht ausreichend sind.Diese Kluft wird jedoch nicht als Handlungsdefizit interpretiert, sondern „als Ausdruck von Abwägungsprozessen zwischen konkurrierenden Werten oder als Resultat z. T. irreversibler Faktoren (z. B. Geschlecht, Alter, Wohnort, Einkommen). Damit geraten der Lebensstil, das soziale Milieu und damit verbundene kulturelle Phänomene der Wahrnehmung ins Zentrum der gegenwärtigen umweltpädagogischen Debatte (Frech/Halder-Werdon 1997, S. 10). Nach kritischer Rezeption der Ansätze von de Haan, Glöckner und soziokultureller Aspekte bei Bölts (1995) wird von den Autoren trotz geäußerter Zweifel der als „falsifizierend“[162] charakterisierte kulturorientierte Ansatz favorisiert. Im dritten Hauptteil des Buches, der sich mit dem Verhältnis von Natur und Kultur beschäftigt, werden unterschiedliche Ansätze und Beispiele mit kulturorientierter ökologischer Bildung präsentiert, die auf Basis der beiden Grundsätze „Sinn entfalten“ und „Sinne entfalten“ den „weiten Weg zwischen Kopf und Hand“ überbrücken wollen. Für die Sinne gibt es entweder den Weg über Naturerlebnisse, trotz all der Kritik, die daran geübt werden kann, oder den Weg über Kulturerlebnisse und schließlich Mischformen zwischen diesen herkömmlichen Wegen: durch künstlerische Ansätze aus den verschiedenen Bereichen kann eine reflektierte Betrachtung der Natur angeregt werden.[163] Hier wird gegenüber meinem eigenen Ansatz und dem von de Haan ein engerer Kulturbegriff verwendet.

In einer gewissen Verwandtschaft zur Argumentation von Glöckner steht der humanökologische Ansatz von Mertens.[164] Der Grundgedanke besteht in der Übertragung des allgemeinen biologischen Verständnisses von „ökologisch“ als eine Betrachtungsweise, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen und ihrer Umwelt befaßt, auf den soziokulturellen Bereich der Mensch-Umwelt-Interaktionen. Besondere Bedeutung erlangten in den letzten beiden Jahrzehnten Ansätze in der Ökologischen Psychologie (vgl. z. B. Graumann/Kruse/Lantermann 1990) und der Ökologischen Sozialisationsforschung (z. B. Bronfenbrenner 1976, 1981a) sowie in geringerem Umfang auch in der Pädagogik (Konzepte zur Lernumwelt und Sozialisationstheorie). Die individuelle Entwicklung des Menschen wird im Kontext von pluralen, soziokulturell bestimmten Umwelten unterschiedlicher Reichweite betrachtet. Dazu gehören Familie, Freundes- und Bekanntenkreis, Schule, Arbeitsstelle, im Nahbereich bis hin zu der Makroebene der Gesamtkultur u. ä., mit denen sich das aktiv handelnde Individuum in Wechselwirkung befindet und die das „Netzwerk menschlicher Ökologie“ bilden.[165] Pädagogische Konsequenz ist zum einen eine analytische: Pädagogische Aktivitäten und Interaktion müßten auf ihren Umweltkontext auf allen Ebenen (Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem) befragt werden, der den umfassenden und differenzierten Bedingungsrahmen für mögliche Bildungsprozesse darstellt.[166] Zum anderen ist die Schaffung entwicklungsfördernder Umwelten der zentrale praktisch-pädagogische Leitgedanke.[167] Die Faktoren der schulökologischen Lernumwelt (architektonisch, personal, sozial, organisatorisch u. a.) sind inzwischen Gegenstand vieler pluraler, schulreformerischer Überlegungen und Praxisversuche, insbesondere im Kontext der umweltfreundlichen Umgestaltung, Öffnung und regionalen Orientierung von Schulen (s. 2.8). Die eigenen Grundüberlegungen zur Schaffung einer regionalen Infrastruktur für Umweltbildung, die an verschiedenen Stellen der Arbeit angesprochen werden (s. 1.6 und 2.8), könnte man m. E. auch als humanökologische Bemühungen auf der Meso- und Exoebene ansehen. Insgesamt wurde der humanökologische Ansatz einer Ökologie der menschlichen Entwicklung im Sinne von Bronfenbrenner in der Umweltbildung kaum systematisch aufgegriffen, obwohl es dazu im Konzept des Ökologischen Lernens schon früh Ansätze einer Lernökologie gab.[168] Mertens versuchte, eine speziell auch den Bereich der Mensch-Natur-Interaktionen umfassende humanökologische Orientierung als allgemeinen Denkansatz der Pädagogik und der Bildungstheorie aufzubauen, die der zentrale Gegenstand der Umweltbildung ist. Mertens umweltpädagogisches Konzept, das sich an der Kontroverse zwischen Umwelterziehung und Ökopädagogik und dem von ihm als analytische Umweltpädagogik bezeichneten Ansatz von Kahlert abarbeitet, stellt die „ökologische Verantwortung“ als Leitvorstellung in den Mittelpunkt (Mertens 1998, S. 167‑200).[169]

Zum Abschluß möchte ich erwähnen, daß mit derKulturorientierung der Umweltbildung und der realen gesellschaftlichen Multikulturalität auch eine interkulturelle Sichtweise der Umweltbildung an Bedeutung gewinnt. Sie wurde bisher noch kaum beachtet oder gar konzeptioniert; Umweltbildung im Kontext einer globalen nachhaltigen Entwicklung wird daran nicht vorbeikommen (vgl. 5.2.2).[170]

2.7.3  Ökonomie, Kritik der Ökonomie und politische Bildung

Obwohl in der umweltpädagogischen Literatur die These kaum grundsätzlich bestritten wird, daß die Ökonomie als tragendes System des Kapitalismus bzw. der Marktwirtschaft zu den wichtigsten Ursachen der ökologischen Krise gehört[171] und obwohl ökonomische Motive individuelles und alltägliches Umwelthandeln in der Regel stärker bestimmen als erworbene Umwelteinstellungen und umweltpädagogische Ziele, ist die Ökonomie in diesem doppelten Sinne inhaltlich nur ein Randthema der Umweltbildung, vor allem in allgemeinbildenden Bereichen und Praxisfeldern. In der Umwelterziehung bzw. Umweltbildung der 70er und 80er Jahre wurde die Ökonomie ausgespart.[172] Aus einer gesellschaftskritischen Perspektive, wie sie z. B. die Ökopädagogik formuliert hatte (vgl. 2.3.2) oder wie sie vom Standpunkt kapitalismuskritischer materialistischer Bildungstheorien vertreten werden (z. B. Bernhard 1986a, 1995b), wurde das derzeitige ökonomische System als gesellschaftliche Grundlage grundsätzlich abgelehnt oder als mögliche Orientierung umweltpädagogischer Konzepte als „systemimmanente“ Strategie kritisiert. In etlichen neueren kritischen Zeitdiagnosen und sozialwissenschaftlichen Theorien, die für die Umweltbildung relevant sind und z. T. zugrundegelegt wurden, verlor die Ökonomie ihre zentrale Rolle. Deutlich wird dies an dem Diskurs, der durch die Theorie der Risikogesellschaft von U. Beck (z. B. 1986, 1988 u. 1991) ausgelöst wurde (vgl. Claußen 1996). Eine positive Berücksichtigung der Ökonomie ist in der Umweltbildung fast nirgends zu finden.

Insofern gibt es seit Mitte der 90er Jahre einen latenten generellen Widerspruch zum Nachhaltigkeitsdiskurs, der die ökonomischen Aspekte grundsätzlich gleichrangig neben die ökologischen und sozialen Aspekten stellt.[173] Vor allem verträgt sich die mit einer Modernisierungsstrategie der nachhaltigen Entwicklung (vgl. BLK 1999, S. 18f) verbundene, mindestens partielle Einbindung von Strukturen und Motiven der kapitalistischen Ökonomie nicht mehr mit der Grundsatzkritik und der politischen Perspektive einer Überwindung des Kapitalismus als Voraussetzung der Lösung der ökologischen und anderen globalen Menschheitsprobleme.[174] Eine differenziertere Sicht des ökonomischen Systems und seiner gesellschaftlichen Rolle ist erforderlich. Da eine neue Fassung und Rolle gesellschaftskritischer Bildungstheorie ansteht (vgl. Sünker/Krüger 1999), werden bisherige Positionen hier nur kurz dargestellt.

Auch unabhängig vom umweltpädagogischen Nachhaltigkeitsdiskurs rückte das ökonomische Handlungsmotiv des Einzelnen in dem Maße ins Blickfeld, wie die Diskrepanz zwischen den proklamierten Zielen der Umweltbildung und dem tatsächlichen Verhalten zum erklärungsbedürftigen Problem erklärt wurde. Während es bisher eher darum gehen mußte, die Umweltbildung so effektiv zu gestalten, daß ihre Wirkung stärker ist als ökonomische und andere Motive und Hemmnisse, die den weitreichenden ökologischen Zielen entgegenstehen, muß man im Kontext der Nachhaltigkeit die Frage stellen, ob man nicht auch ökonomische Aspekte positiv in die Zielsetzungen einbauen muß.

Für eine ‚realpolitische‘ und ‚realistische Wende‘ sprachen noch andere Motive und gesellschaftliche Entwicklungen: Ende der 80er Jahre gab es bereits Annäherungen von Teilen der Umweltbewegung an die Wirtschaft, z. B. Ökosponsoring. Dies hat seitens der Umweltbewegung und ihrer Bildungsarbeit seine Ursache im chronischen Finanzmangel einerseits und dem Zwang zur Professionalisierung – auch des Bildungsbereichs – andererseits.[175] Außerdem gab es von Betrieben über solche Aktivitäten zugunsten ihres ‚grünen Images‘ auch zunehmende reale Beschäftigung von Teilen der Wirtschaft mit ökologischen Herausforderungen auf betrieblicher Ebene (Ökologisierung), wenngleich dies in der Regel betriebswirtschaftlich-ökonomische Gründe oder mit der Suche nach Marktnischen zu tun hat. Gleichzeitig verbreiterte sich der ökologische Diskurs, getragen von den Medien durch alle politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen (Umweltkommunikation, vgl. 2.7.1), so daß es zu einer erheblichen Erweiterung und inneren Differenzierung dieses Diskurses kam. Man kann dies als eine gesellschaftliche Integration und Normalisierung ansehen, die auf Dauer nicht ohne Folgen für die ökonomische Dimension der Umweltbildung bleiben kann. Zunächst hatte sich der ökonomische Aspekt nochmals in anderer Weise niedergeschlagen:

Der Sammelband von Bernhard und Rothermel (1995) steht unbeirrt in der kapitalismus- und damit ökonomiekritischen Tradition, die von einem Teil der Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes schon ab Mitte der 80er Jahre entwickelt wurde (insbesondere Bernhard 1986 u. Bernhard / Sinhart-Pallin 1989). Ausgangspunkt ist die weitgehend berechtigte Feststellung einer wachsenden Kluft zwischen der Programmatik einer ökologisch orientierten Pädagogik und der Praxis der Umwelterziehung und anderer konkurrierender Konzepte (Ökopädagogik usw.). Die darin zum Ausdruck kommende Enttäuschung über das Scheitern der eigenen „basisdemokratischen Bildungsinitiative“ (vgl. Sinhard-Palin 1989) entspricht durchaus der eigenen materialistischen Einschätzung und Kritik des gesellschaftlichen Systems. Statt aus dem Scheitern ggf. auch bildungstheoretische Konsequenzen zu ziehen, macht dieser Sammelband im wesentlichen den Eindruck eines ‚Jetzt-erst-recht‘: Es wird auf den Begriff der „ökologischen Fundamentaldidaktik“ zurückgegriffen, die der materialistisch denkende Erziehungswissenschaftler Gamm bereits 1977 als pädagogisches Gegenprogramm zum naturzerstörerischen Lebensstil der reichen Industriegesellschaften gefordert hatte. Dieser Ansatz der 70er Jahre wollte mit Hilfe der Selbstaufklärung der bürgerlichen Welt über die Grenzen der außer- und innermenschlichen Natur sowohl die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft wie die Selbstveränderung individueller Lebensstile erreichen. Mit diesem Band sollten dazu Bausteine für die Entfaltung eines solchen Konzepts entwickelt und in den Kontext aktueller Lebens- und Sozialisationsbedingungen gestellt werden. Der Versuch blieb im Ganzen gesehen auf einer sehr abstrakten gesellschaftstheoretischen und naturphilosophischen Ebene, die im wesentlichen den Stand der Debatte der 80er Jahre wiederholt. Neue, differenzierende Erkenntnisse werden kaum verarbeitet. Es ist von der „Frage nach objektiv notwendigen Wissens- und Erkenntnisebenen hinsichtlich der ökologischen Krise“ die Rede, da die „Krise des Mensch-Natur-Verhältnisses ohne die Analyse der Strukturen und Funktionsweisen unserer Gesellschaft nicht begriffen werden kann.“ (Bernhard 1995b, S. 75) Vor allem verharrt der materialistische Bildungsansatz weiterhin in einer idealistisch zu bezeichnenden Illusion: Durch eine „ursachenorientierte Aufklärung“ über die ökonomische Struktur der Gesellschaft wird der entscheidende Hebel der Veränderung des (Umwelt)Bewußtseins und vor allem der daraus real folgenden gesellschaftsverändernden Praxis gesehen. Erschwerend kommt hinzu, daß eine theoretische Interpretation (als „systematische Rekonstruktion der gesellschaftlichen Verursachungszusammenhänge“)[176] normativ zugrundegelegt wird, die in Bildungsprozessen wegen ihrer Komplexität als Theorien letztlich kaum zu vermitteln sein dürfte. Dazu müßte zumindest die nur postulathaft vorgetragene Forderung nach einer dialektischen Verknüpfung mit den „konkreten Bedürfnisartikulationen menschlicher Subjektivität“, von „Täter-Opfer-Verhältnissen“ u. ä. konkretisiert und in der Praxis eingelöst werden.[177]

Anläßlich einer solchen Position stellt sich die generelle Frage, ob oder inwieweit eine bestimmte gesellschaftstheoretische Position überhaupt inhaltliche Grundlage moderner Bildungsarbeit sein kann oder ob sie vielleicht nur eine analytische Funktion bei der Erstellung einer Bildungstheorie oder einer Einschätzung von Bildungspraxis sein darf. Dies gilt auch für Ansätze Kritischer Bildungstheorie (vgl. die Ausführungen zum Pluralismus in 2.6.4).

In einem sehr voluminös ausgefallenen Sammelband versuchen Claußen und Wellie (1996) der dominierenden Umweltpädagogik, die „unter vollständig unzureichenden Verknüpfungen mit gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen“ leidet, eine „nicht instrumentalistisch verkürzte, aufklärerische und programmatische Theorie“ entgegenzusetzen, um über eine solche sozialwissenschaftliche und politische Akzentuierung eine Neuorientierung umweltpädagogischer Diskurse zu erreichen, die sich „gegenüber den Fortschritten emanzipatorischer Bildungstheorie“ nicht länger indifferent verhält (aus dem Vorwort). Die 17 sehr unterschiedlichen Beiträge, die sich z. T. auf unterschiedliche Aspekte und pädagogische Handlungsfelder beziehen, stellen insgesamt einen Aufriß der Problemlage dar. Claussen (1996) nimmt in seinem einleitenden Kapitel als neue Orientierung vor allem die sozialwissenschaftliche Debatte um die „Risikogesellschaft“ und die „reflexive Moderne“ im Sinne von U. Beck auf. Gleichzeitig grenzt Claußen seine Position gegenüber postmodernen Denkansätzen ab (2.6.3), für die er eine „funktionale Äquivalenz“ zu neo-konservativem Denken diagnostiziert (Claußen 1996, S. 22ff) und knüpft an einzelne Argumentationen von Bernhard aus dem oben vorgestellten Band an. Insgesamt wird an einer kritischen Bildungstheorie festgehalten, die sowohl aufklärerisch als auch aufgeklärt die Überwindung der Aporien der Moderne intendiert. Letztlich soll die Theorie ihren „Beitrag zum Leben und Überleben der Menschen“ leisten (Claußen 1996, S. 26ff), ohne die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie in den Vordergrund zustellen.[178]

Auf einer ganz anderen, nämlich der individuellen Ebene, bewegt sich die Frage des Stellenwertes ökonomischer Motive für umweltfreundliches Verhalten und die daraus zu ziehenden umweltpädagogischen Konsequenzen. Innerhalb der Umweltpädagogik hat sich konzeptionell nur Krol (1993ff) mehrfach in Veröffentlichungen damit beschäftigt. Von Erkenntnissen der Ökonomie als Wissenschaft[179] her kritisierte er die dominierende naturwissenschaftlich-individualethisch Ausrichtung der Umweltbildung als verhängnisvoll, da sie auf Selbstbegrenzung und freiwilligen Verzicht hinausläuft und deshalb aus erklärbaren Gründen erfolglos sei. Dagegen kann die Kluft zwischen Umweltbewußtsein und nach wie vor wenig umweltverträglichem Verhalten im üblichen umweltpädagogischen Verständnis nur durch ein noch immer unzureichendes Umweltbewußtsein erklärt werden oder muß als Paradoxie unverstandenbleiben. Krol sieht darin eine generelle Tradition pädagogischen Denkens, das über Wissens und Wertvermittlung ein Bewußtsein anstrebt, dieses kurzschlüssig mit angestrebten Verhaltensdispositionen identifiziert und darin immer ein Argument für ein entsprechendes Verhalten sieht. Das in einigen Bereichen bewährte individualethische Paradigma stößt in bestimmten Entscheidungssituationen an Grenzen, die durch verbesserte pädagogisch-methodische Arrangements nicht zu überspielen sind: zum ersten sind Umweltprobleme häufig unbewußte Nebenfolgen von ganz andern Tätigkeiten und Absichten, die sich nicht ohne weiteres ersetzen oder ökologischen Zielen unterordnen lassen; zum zweiten erfordert die Durchsetzung einer individualethisch ausgerichteten Umweltmoral häufig die Wahl einer teuren, unbequemen, zeitaufwendigen, insgesamt aus individueller Sicht ungünstigen Alternative. Zum dritten gibt es das soziale Dilemma, das z. B. darin besteht, daß individuell umweltfreundliches Verhalten nicht unbedingt Verbesserungen der Umwelt erbringt, sondern sogar anderen zusätzlich umweltunfreundliches Verhalten ohne Sanktionen ermöglicht (z. B. beim Autofahren). Auf Basis einer solchen Argumentation schlägt Krol vor, zusätzlich ein sozialökonomisch-ordnungsethisches Paradigma einzuführen, das Handlungs- und Anreizbedingungen schaffen soll, auf das die Menschen in systematischer Weise reagieren. Dabei geht es ihm nicht nur um monetäre, sondern auch um soziale Anreize, moralische Prinzipien, Strafandrohungen in einem ordnungsrechtlichen Regelungssystem u. ä., soweit diese verhaltenskanalisierende Wirkungen erwarten lassen oder haben (Krol 1998, S. 277). Statt vergeblich pädagogisch zu versuchen, individuelle Handlungsmoral gegen bestehende Anreizstrukturen aufzubauen und zu stärken, sollte sich die Umweltbildung für eine Veränderung wichtiger (institutioneller) Rahmenbedingungen einsetzen. Es geht Krol darum, vorausgesetzte individuelle Moral durch geänderte, insbesondere ökonomische Anreizstrukturen zu stützen.

Der Ansatz könnte eine Möglichkeit darstellen, konzeptionell innerhalb der Umweltbildung dem Prinzip der Nachhaltigkeit[180] Geltung zu verschaffen, das die Integration ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte postuliert; insofern kommt diesem Ansatz besondere Aktualität zu. Er scheint jedoch allen Ansätzen einer generellen Kritik ökonomischer Aspekte unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zu widersprechen, auch wenn Krol zunächst zwischen wissenschaftlicher Ökonomie und praktischem Verhalten im Wirtschaftsleben unterschieden hatte. Denn nach gängiger radikaler Kritik am Kapitalismus wird ein wirtschaftliches Prinzip in Frage gestellt, das inzwischen in alle Lebensbereiche und das Denken der Individuen eingedrungen ist. Es stellt sich die Frage, welche neuen Anreizstrukturen innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems durchsetzbar sind. In eine partiell ähnliche Richtung gehen übrigens die Konsequenzen aus der umweltpsychologischen Debatte, die in den 90er Jahren größere Bedeutung erlangte und sich mit den Bedingungen für verändertes Umweltverhalten befaßte (s. 5.5).

2.7.4  Naturerlebnis - Ganzheitliche Bildung

In den 70er und 80er Jahren erlangten unterschiedliche Formen der Orientierung auf Natur[181] in der Umweltpädagogik hohe Bedeutung (z. B. Göpfert 1987). Sie wurden vor allem in bestimmten Bereichen außerhalb der öffentlichen Bildungsinstitutionen praktiziert, wo sie bis heute weit verbreitet sind. Diese Ansätze knüpfen z. T. an die ältere Tradition der Naturschutzerziehung oder an reformpädagogische Strömungen[182] an und haben häufig eine ganzheitliche Orientierung. Obwohl die generelle Haupttendenz des theoretischen Diskurses in den 90er Jahren eher von einer Naturorientierung der Umweltbildung wegführte, gab es eine relativ große Zahl theoretischer Veröffentlichungen[183] dazu, die z. T. nachträgliche Reflexionen und Theoretisierungen lange existierender Praxis darstellen, bei Maaßen (1994) und Winkel (1995) trifft dies sogar biographisch zu.[184]

Maaßen, der sich vor dem Hintergrund persönlich betriebener langjähriger Umwelt- und Naturschutzarbeit und deren pädagogischer Umsetzung, theoretisch am fundiertesten mit dem Naturerleben beschäftigt hat, arbeitete verschiedene Konzepte des Naturerlebens auf und versuchte die meistens nur implizit vorhandenen Grundlagen freizulegen. Dabei stellt er als Gemeinsamkeit fest, daß im Zentrum immer die sinnlichen Wahrnehmungen und die konstituierenden Leistungen des Subjekts sowie die funktionalen Bezüge zum Naturschutz stehen, die allerdings nirgends genauer beschrieben oder gar belegt werden. Charakteristisch ist außerdem der Verzicht auf gesellschaftsverändernde Zielsetzungen (Maaßen 1994, S. 108ff). Naturerleben ist eine pädagogische Antwort auf die ökologische Krise und das Interessanteste, was die Pädagogik seit der Reformpädagogik hervorgebracht hat. Dies ist die Kernaussage Maaßens (1994, S. 3ff), die er theoretisch zu begründen versucht und sie dadurch einer rational-argumentierenden und streitenden Diskussion aussetzt. Auf dieser Basis setzt Maaßen sich für eine „subjektive“ Wende der Umweltpädagogik ein und wendet sich gleichzeitig gegen einige andere ihrer Richtungen: Dem „strukturell-gesellschaftskritischen Ansatz“ wirft er vor, das Subjekt als Eigensinniges zu übersehen und es auf einen „passiven Realisator vorgegebener ökologischer Notwendigkeiten“ zu reduzieren, die von den Menschen vielfach als fremd, aufgezwungen und bestenfalls asketisch wahrgenommen werden. Gegen eine mediale und rein begriffliche Vermittlung von Natur und Mensch argumentiert Maaßen aus anthropologischen Gründen. Schließlich führt die selbstkritische Bestandsaufnahme der Praxis und Theorie des Naturerlebens zu Abgrenzungen gegenüber Erlebnispädagogik und -kauf sowie zum Aufzeigen von Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Ansatzes. Neben Gemeinsamkeiten der verschiedenen naturerlebnispädagogischen und verwandter Ansätze identifiziert Maaßen zwischen ihnen auch viele und grundlegende Differenzen, z. B. hinsichtlich der folgenden Aspekte: Ausmaß und Qualität des Zugangs zur Natur, Verhältnis zu wissenschaftlichen Zugängen und metaphysischen Systemen, Stellenwert von Naturwahrnehmung, Wahrnehmung der Naturästhetik sowie ökologische Zielsetzungen.

Naturerleben als „individuelle und damit einzigartige Aneignung der Natur“ wird von Maaßen anthropologisch und gleichzeitig als eine zweck- und herrschaftsfreie Annäherung an die Natur verstanden. Es handelt sich um einen kommunikativen Prozeß, in den die Natur als gleichberechtigte Partnerin einbezogen ist (Maaßen 1994, S. 14) und der der Natur materiell nichts entnimmt. Angesichts des dominierenden nutzenden und ausbeutenden Umgangs in den Industriegesellschaften muß deshalb die Möglichkeit des Naturerlebens durch umweltpolitische Entscheidungen ermöglicht werden.

Auch wenn man die Wünschbarkeit von Naturerlebnissen teilt, die mindestens für einen großen Teil der Bevölkerung in differenzierten Formen zweifellos ein Bedürfnis darstellen, muß die Aussage und die damit verbundene Vorstellung, daß es sich beim Naturerleben um ein Modell eines alternativen Umgangs im Sinne von Frieden und Aussöhnung mit der Natur handelt, aus mehreren Gründen als problematisch angesehen werden:

        Gerade wenn die Naturerlebnisse politisch für die ganze Bevölkerung ermöglicht werden sollen – was logisch konsequent wäre – kann man gesellschaftlich nicht mehr von einem zweckfreien Umgang reden, der die Natur nicht verändert. Da dann das Gegenteil eintritt, hebt sich das Naturerleben selbst auf – eine Dialektik der Versöhnung mit der Natur, die sich unter demokratischen Verhältnissen in ihr Gegenteil verkehrt.[185]

        Ein Blick auf die Geschichte des menschlichen Umgangs mit der Natur zeigt, daß es keinen zweck- und herrschaftsfreien Umgang mit der Natur gibt, den man als anthropologische Konstante ansehen könnte. Dies trifft auch für das Naturerleben zu, das in den sich verbreitenden Formen (z. B. naturbezogene Formen des Tourismus und Freizeitsports) eine sehr moderne, individuelle und ständig vielfältiger werdende Form des Umgangs mit der Natur ist. Sie stellt eine eindeutige Reaktion einer immer größeren Anzahl von Menschen auf die dominierenden, intensiven und zu Verstörungen führenden Naturnutzung und -zerstörungen dar. Darin mag der Mensch als Naturwesen zum Ausdruck kommen, aber es handelt sich historisch und individuell um sehr unterschiedliche Ausprägungen.

        Angesichts der propagierten subjektiven Wende der Umweltpädagogik scheint mir der offenbar zugrundegelegte erkenntnistheoretische Realismus gegenüber der Natur fragwürdig zu sein. Gerade hier erscheint ein konstruktivistisches Verständnis angemessener, das von subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen ausgeht, ohne daß damit die Existenz einer eigenständigen Natur in Frage gestellt wird (vgl. Kapitel 4).

Maaßen erkennt angesichts der ökologischen Krise zwar die Notwendigkeit einschneidender Änderungen im individuellen und kollektiven Handeln an, lehnt aber jegliche Indoktrination ab und setzt der Umweltbildung enge Wirkungsgrenzen, da sie „als Pädagogik keine grundsätzlichen Lösungen oder Teillösungen erbringen“ kann. Das pädagogische Naturerleben versteht er als eine sensibel anzubietende Möglichkeit einer anderen Aneignung von Natur, die sehr individuell realisiert wird (Maaßen 1994, S. 8-13). Naturerlebnis und die mit ihr verbundenen phänomenologisch-hermeneutischen Zugänge zur Natur stehen in Kontrast zu den Naturwissenschaften. Sie sind nach Maaßen (1994, S. 219) Ausdruck einer reflexiven Moderne im Sinne von U. Beck und stellen durch die sinnliche und sinnhafte Dingerfahrung wichtige Beiträge zur Bildung dar, die sonst vernachlässigt werden. Im Unterschied zu einigen anderen Ansätzen einer Naturerlebnispädagogik erweist sich der sehr reflektierte und fundierte Ansatz von Maaßen insgesamt als durchaus anschlußfähig für das hier angestrebte bildungstheoretische Rahmenkonzept für Umweltbildung.

Winkel (1995) geht davon aus, daß angesichts der ökologischen Krise radikales Umdenken, ein „neuer Mensch“ erforderlich ist: „Denken, Fühlen und Handeln, also Wissen, Gewissen und Tun müssen sich in die neuen Bedingungen einordnen lernen.“ Dazu dient Winkel ein betont ganzheitlicher Ansatz[186], der die Theorie seiner 30jährigen Praxis[187] in diesem Bereich darstellen soll. Bei seinem Ansatz soll die Bildung von Werten und Normen im Vordergrund stehen. Orientierungspunkt ist nicht nur die Ökologie, sondern der ganze Mensch, ja der ganze Planet.[188] Das „Pflegerische“ dient als übergreifendes Erziehungsziel und hat nach Winkel den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit von Weltanschauungen. Es umfaßt „die Solidarität mit Pflanzen, Tieren, Menschen“ und ihre jetzigen und zukünftigen Bedürfnisse und beschreibt in umfassenden Sinne eine Gesundheitserziehung mit dem Ziel eines gesunden Menschen in einer gesunden Gesellschaft und einer intakten Umwelt. Insgesamt ist das Pflegerische der Ratio zugänglich (Winkel 1995, S. 55). Auf dieser Basis wird ein ganzheitlicher Ansatz entfaltet, der über das übliche Verständnis weit hinaus geht: Er umfaßt nicht nur ein Dutzend Sinne (z. B. auch Vital- oder Lebenssinn, Wärmesinn, Ich-Sinn u. a.), sondern auch die Dimensionen des Mythos, des Kultus und der Religion, alle ästhetisch-künstlerischen Äußerungen des Menschen, aber auch die Naturwissenschaften und die Konfliktbewältigung. In der textlichen Darstellung löst Winkel dieses umfassende Verständnis von Ganzheit(lichkeit) in eine Reihe auf – die Herstellung der Ganzheit wird der Phantasie der Lesenden zugemutet (Winkel 1995, S. 19). Die überraschend auftauchende (neue) Religiosität wird als unbedingte Voraussetzung einer erfolgreichen Umweltbildung angesehen, sie kann funktional auch durch eine „neue Philosophie“ ersetzt werden, in jedem Fall muß das Pflegerische als oberstes Prinzip die Integration in einer pluralistischen Gesellschaft gewährleisten (Winkel 1995, S. 228). Es bleibt bei diesem sich ausschließlich auf Bewußtseinsstrukturen beziehenden Ansatz unklar, inwieweit das Ganzheitlichkeitsprinzip normativ verstanden wird. Davon hängt die Anschlußfähigkeit an den hier zugrundegelegten pluralistischen Bildungsbegriff ab, die jedoch nicht ausgeschlossen ist.

Etwas ähnliches gilt für die „ganzheitliche Bildung“ Möhrings (1997), die ein integrales Bewußtsein anstrebt, das menschheitsgeschichtlich hinsichtlich geistiger Existenz und Weltbewältigung die fünfte Stufe der sich steigernden Bewußtseinsstrukturen darstellt. Sie soll die „mentale Stufe“ ablösen, die vor 2500 Jahren in dem antiken Griechenland ihren Anfang genommen hat und vom Dualismus Mensch und Natur geprägt ist, der mit einem ganzheitlichen, mitweltlichen Denken, über Ehrfurchtsethik (als noch mentale Zwischenstufe) bewußtseinsintensivierend überwunden werden muß. Arbeit an sich selber, z. B. durch Meditation (Zen-Buddhismus), direkte Kontakte mit der Vielfalt und den Lebensäußerungen nichtmenschlicher Lebensformen an Lernorten der regionalen Naturlandschaft, Suche nach dem ökologischen Selbstempfinden im Sinne des tiefenökologischen Ansatzes, Taoismus, aber auch systemtheoretisches Denken u. ä. (biophil-ökozentrierte Mitweltpädagogik) sind die Charakteristika. Es handelt sich also um einen Ansatz, der Ähnlichkeit mit den Rezeptionen von Capras „Wendezeit“ (1983) hat. Die angestrebte Überwindung des rationalen in Richtung des integralen Bewußtseins[189] erfolgt in unmittelbaren, selbstbestimmten und kooperativen ganzheitlichen Prozessen eines „persönlich bedeutsamen Lernens“, das selbstverständlich nicht im herkömmlichen Schulsystem stattfinden kann.

Ökologische Pädagogik ist für Kleber (1993) keine andere zusätzliche Pädagogik, sondern stellt den Versuch dar, die Prinzipien pädagogischer Fragestellungen im Sinne von Benner (1983) und Ballauf (1970) und die dazugehörigen theoretischen Ansätze zu ökologisieren (Kleber 1993, S. 203). Da pädagogisches Denken notwendig anthropozentrisch und ökologisches Denken primär biozentrisch bzw. planetarisch orientiert ist, kann ökologisch pädagogisches Denken nach Kleber nur durch eine Verschränkung der planetarischen mit der anthropozentrischen Perspektive gelingen. Diese Perspektive ist – bei Strafe des Untergangs im Sinne von Benner (1987) – nicht nur für die Pädagogik, sondern für die menschliche Gesamtpraxis notwendig (Kleber 1993, S. 195). Bezugspunkt ist für Kleber die von dem Naturwissenschaftler Lovelock (1982) bereits Anfang der 70er Jahre entwickelte Gaia-Hypothese der Erde als Lebenssystem in einer nichtmystifizierten Interpretation[190]. Diese Hypothese ist für ihn Basis eines nichtanthropozentrischen Weltbildes, das zusammen mit anderen, jedoch damit kompatiblen Weltbildern Basis einer ökologischen Bildung sein soll. Kleber setzt dabei auf globale integrative Konzepte, „um über Gruppen und Kulturen hinweg konsensfähig zu sein. Das Geschäft pädagogischer Praxis ist die Vermittlung in Pluralismen von Weltbildern und Ethiken[191], immer im Rahmen der Notwendigkeiten des Lebenssystems unseres Planeten“ (Kleber 1993, S. 197).

Eigenverantwortlichkeit im eigenen Oikos und globale Mitverantwortlichkeit als Fakt des unentrinnbaren Eingebundenseins in das Lebenssystem des Planeten sind weitere Grundzüge einer ökologischen Bildung, die über den Primat der Bewußtseinsbildung letztlich ein „Mitlebenlernen“ ermöglichen soll. „Die ökologisch gebildete Person tritt in allen Lebenslagen, vor allem in ihren Alltagsgeschäften für die Förderung des menschenförderlichen Zustandes unseres Lebenssystems ein. Sie bemüht sich, ständig neu Mitleben zu erlernen und zu praktizieren. Sie ist schrittweise zu immer weitergehendem Verzicht bereit. Sie ist der profilierte Bürger für eine ökologisch wirtschaftende Gesellschaft.“ Andererseits kann ökologische Bildung, die als Prozeß entsprechende Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensdispositionen hervorbringen soll, letztlich nur freie Selbstbildung sein – darin besteht die Aporie ökologischer Bildung (Kleber 1993, S. 203).[192]

Als Dimension einer bildungsorientierten Umweltbildung sind solche Ansätze unverzichtbar, da sie wesentliche Beiträge zu einer umfassenden Persönlichkeitsbildung liefern können (s. 2.9).

2.7.5  Ökoethische Entwicklung

Nichtanthropozentrische, naturbezogene und z. T. auch ganzheitliche Bildungskonzepte haben in der Regel ausgeprägte ethische Orientierungen, die häufig dogmatische Tendenzen zeigen. Dies gilt mit Einschränkungen auch für den in 2.7.4 beschriebenen Ansatz von Kleber, der zwar für einen Pluralismus von Ethiken eintritt, jedoch die Kompatibilität mit einem fortgeschrittenen naturwissenschaftlichen Weltbild (wie das der Gaia-Hypothese) zur unbedingten Voraussetzung macht. Die sonstige umweltpädagogische Ethikdebatte (z. B. Schreier 1994) hat in den 90er Jahren bis zum Beginn des Nachhaltigkeitsdiskurses gegenüber den Beiträgen in den 80er Jahren keine grundlegend neuen Gedanken hervorgebracht. Döbler (1992, 1996) gehört zu den wenigen wissenschaftlichen Vertretern, die sich bilanzierend und reflektierend mit Fragen der Wertvermittlung in der Umweltbildung auseinandergesetzt haben. Zuvor möchte ich noch einige Grundgedanken aus meiner eigenen, allerdings schon älteren Studie vorstellen (Becker 1989a), die überraschende Ähnlichkeiten zu den Argumenten von Döbler haben. Angesichts eines intensiven, aber unübersichtlichen Ökoethik-Diskurses in den 80er Jahren hatte ich es damals für dringend erforderlich angesehen, diesen Diskurs im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für eine emanzipatorische Umweltbildung bzw. ökologische Bildung aufzuarbeiten – der Gesamtbereich von Theorie und Praxis der Umweltbildung war damals wie heute durch ein deutliches Defizit an ökoethischer Reflexion gekennzeichnet. Sowohl hinsichtlich der Ethik als auch hinsichtlich der parallel sich entfaltenden neuen Bildungsdebatte gab es aus emanzipatorischer Sicht grundlegende Vorbehalte, weil unterschiedliche neo-konservative Tendenzen das Diskussionsfeld zu dominieren schienen. Das positive Ergebnis meiner Analysen und Erörterungen war ein Ansatz einer sozialökologischer Ethik, die soziale Gerechtigkeit und allianzartiges, vielfältiges Verhältnis zur Natur diskursiv verknüpfen und als Teil von Bildung verstehen sollte. Dabei war ich zusätzlich der Frage nachgegangen werden, ob der damalige Diskurs über moralische Entwicklung in einer pluralistischen Gesellschaft sich mit einer solchen sozialökologischen Ethik verbinden läßt und einer ökoethischen Erziehung bzw. Bildung wenigstens fruchtbare Anregungen liefern kann. Der Diskurs über moralische Entwicklung hatte seinen Ausgang von den Arbeiten von L. Kohlberg genommen und sich bewußt von konservativen und allzu normativen Vorstellungen abgegrenzt: Moralische Erziehung wurde je nach Konzeptvariante als Empathieförderung, als Wertklärung oder als Erziehung zur Gerechtigkeit verstanden. Meine eigene Idee war damals, diese Überlegungen auf die individuellen und gesellschaftlichen Naturbeziehungen zu erweitern. Dazu ein vier Punkte umfassendes Zitat:

–     Die notwendige Sensibilisierung für die Entfremdung der Naturbeziehungen, für den moralischen Gehalt von Situationen, für die moralischen Folgen von Handlungen und die handlungsmotivierende Betroffenheit könnte vor allem durch pädagogische Förderung der Empathie-Entwicklung erreicht werden (unter anderem durch sinnliche Erfahrung und Wahrnehmung).

–     Eine weit verstandene Wertklärung könnte einerseits das eigene Verhältnis zur Natur – einschließlich seiner unbewußten Antriebe - im Kontext sozialer Beziehungen und kultureller Muster auf den verschiedenen Ebenen und mit all seinen inneren Widersprüchen bewußt machen; andererseits könnten mit einem solchen Ansatz alternative Wertvorstellungen und Möglichkeiten der persönlichen Umsetzung vermittelt werden – insgesamt eine wichtige Hilfe zur Selbsterforschung auf dem Wege zu einer umfassenden Bildung.

        Die kognitive Entwicklung in immer differenzierteren und umgreifenderen Denkstrukturen fördert das moralische Reflexionspotential, d. h. das Nachdenken über gerechte und ökologisch sinnvolle Lösungen und unterstützt die Bildung eines zunehmend konsistenteren Systems von Wertvorstellungen. Dies impliziert auch die Befähigung zur Teilnahme an einem auf Konsens abzielenden moralischen Diskurs.

 

–     Die anzustrebende, integrierte Verbindung zu den verschiedenen Ebenen des praktischen Handelns und seiner Realisierungsbedingungen soll begründete Motivation zu individuellem und kollektivem Handeln erzeugen und damit einer solchen moralischen Erziehung ihren eigentlichen Sinn geben: Emanzipation und Selbstverwirklichung im Rahmen einer Perspektive nichtentfremdeter Naturbeziehungen und begründeter Zukunftshoffnungen. Pädagogische Arbeit knüpft dabei an solche Elemente moralischen Denkens und Handelns an, die sich im Rahmen des Wert- und Einstellungswandels bereits entfalten.(Becker 1989a, S. 155f)

Der von zahlreichen unauflösbaren Kontroversen und Unklarheiten gekennzeichnete Diskurs über Ökoethik und ökomoralische Entwicklung konnte der Pädagogik keine eindeutigen Grundlagen oder gar Handlungsanweisungen liefern. Da emanzipatorische pädagogische Praxis ohnehin nicht in der direkten Vermittlung festliegender Normen bestehen kann, sondern in einer konstruktiven und kritischen Auseinandersetzung damit, hatte ich diesen Umstand damals wie heute nicht als Nachteil angesehen.

Döbler (1992 u. 1996), der später auch eine Bestandsaufnahme vornahm und auch Perspektiven entwickelte, stellte fest, daß in der Umweltpädagogik

        Methoden, Ergebnisse und Diskussionszusammenhänge sozialwissenschaftlicher Werteforschung bisher kaum rezipiert und auf die Intentionen, Methodik und Lerntheorien der Umweltbildung bezogen wurden

        hauptsächlich biozentrische Konzepte der Umweltethik benutzt wurde

        bisweilen Umwelterziehung auf ein Bestandteil allgemeiner Moralerziehung reduziert wurde

        Erkenntnisse der (sozial)philosophischen Diskussion der 70er Jahre zu erkenntnistheoretischen und ethischen Problemen der Mensch-Natur-Beziehungen nicht rezipiert wurden

        die Diskussion der 80er Jahre zur Genese und Struktur sozio-moralischer Urteilsniveaus (Kohlberg-Debatte) nicht auf öko-moralische Urteilskompetenzen bezogen wurde (vgl. Becker 1989a)

        weitgehend unklar blieb, welche Werte anzustreben, zu stärken oder zu unterstützen wären und inwiefern und in welchen institutionalisierten Lernprozessen solche Werte dann vermittelt werden können (Döbler 1996, S. 162f).

Vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung, stellte Döbler die Frage, inwieweit es gemeinsame ökologische Wertorientierungen gibt, die das Handeln bestimmen. Statt

umweltpädagogische Werteerziehung lediglich instrumentell als Umsetzung ökologischer oder gesellschaftlicher Sollvorstellungen zu konzipieren [...] ist zu beachten, daß Werte an spezifische kulturelle und sozio-politische Kontexte gebunden sind und in individuellen Interpretationsleistungen aktualisiert werden müssen, um subjektive Orientierungen innerhalb pluralisierter Lebensentwürfe zuzulassen. [Deshalb ist es erforderlich, an die] Fähigkeiten und Einstellungen, aber auch die alltäglichen Strategien der Lernenden anzuknüpfen und von diesen ausgehend eine Erweiterung der Reflexions-, Argumentations- und Handlungskompetenzen anzubahnen. (Döbler 1996, S. 165)

Sowohl auf personaler als auch sozialer Ebene wird von Werten und Einstellungen erwartet, daß die Beschäftigung mit ihnen einen Beitrag zur rationalen Konfliktlösung über angemessene, weil verantwortungsbewußte Ziele innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft und einer Demokratie korrespondierenden Politik leistet. Die pädagogische Herausforderung besteht nach Döbler darüber hinaus darin, Einsichten der Moralpsychologie (über die Prozesse der Ausbildung von Werten und Einstellungen) und -philosophie (über die Reflexion von Geltungsansprüchen) indoktrinationsfrei zu berücksichtigen und das Ganze einer bildungstheoretisch zu reflektieren (Döbler 1996, S. 175f).[193]

Die Nachhaltigkeitsidee, der über die Ökoethik hinaus weitergehende ethische Normen zugrundeliegen,[194] setzt nun für die Umweltbildung eine neue Ethikdebatte auf der Tagesordnung. Kein Platz gibt es mehr für anti-anthropozentrische Positionen, die früher im Mittelpunkt der Kontroverse standen.[195] Die real existierende Pluralität und der umfassende und weltweite Partizipationsanspruch lassen auf der theoretischen Ebene keinen Dogmatismus und nach allen bisherigen Überlegungen auch keine ‚gesinnungsethische‘ Ausrichtung mit Verbindlichkeitsanspruch mehr zu. Auf diese noch neue Problemstellung, die in der Bildungsdebatte und in der Umweltbildung bisher kaum diskutiert wurde und die schwierige ethische und pädagogische Fragen beinhalten, kann hier nicht eingegangen werden. Antworten auf diese Herausforderungen moderner Bildung sind wohl im Sinne einer Wertklärungs- und -reflexionsstrategie zu erwarten und zu erarbeiten.

nächster Abschnitt


[134]   „Pädagogik der Vielfalt impliziert die respektvolle ‚dialogische‘ Annäherung nicht nur an andere Menschen, sondern auch an die Mitwelt in Biologie, Physik ... Eine gemeinsame Wertvorstellung ist grundlegend: die Liebe zum Leben in seiner Vielfalt“ (Prengel 1995, S. 192f). Diese Aussage zur Vielfalt in der Umweltbildung ist etwas dürftig ausgefallen, auch wenn Umweltbildung nicht Thema der Arbeit von Prengel war.

[135]   Es ist hier weder möglich noch sinnvoll, Vollständigkeit hinsichtlich der umfangreich vorliegenden Literatur zu erreichen und zwar in einem dreifachen Sinne: Weder können alle Ansätze berücksichtigt, noch können oder sollen sie vollständig wiedergegeben werden. Es soll hier auch kein ‚fertiger‘ Ansatz als Ergebnis vorgelegt werden. Es handelt sich eher um material- und aspektreiche (Vor)Überlegungen und Reflexionen für eine Fortentwicklung der Theorie der Umweltbildung.

[136]   Z. B. hat Michelsen (1998e, S. 62) eine andere Liste von Diskussionssträngen der Umweltbildung; diese Liste enthält einige meiner Punkte nicht. Solche Listen lassen sich nicht eindeutig bestimmen oder gar abgrenzen; bei Michelsen sollen sie nur eine Orientierung bieten, bei mir sollen sie primär zu einer bildungstheoretischen Rekonstruktion der Umweltbildung beitragen.

[137]   Kapitel 5 baut vor allem auf Kapitel 3 auf und nimmt viele Aspekte aus 2.7 und anderen Teilen des Kapitels weiterführend auf.

[138]   Dieser ebenfalls wichtige Aspekt wird hier nur kurz in Form einiger Ergebnisse der diesbezüglichen soziologischen und sozialpsychologische Forschung angesprochen und dort lediglich auf die Frage der Effektivität der Umweltbildung bezogen.

[139]   Anlaß dieses Bandes war der 65. Geburtstages Günter Eulefelds, der von den 70er Jahren an einer der wichtigsten konzeptionellen Vertreter der inzwischen schon klassisch zu bezeichnenden Umwelterziehung ist.

[140]   Die in der Theorie der Allgemeinbildung enthaltene Frage von Fähigkeiten (bzw. Kompetenzen) (s. 2.1) wird in 5.6 im Kontext einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung unter dem Begriff Schlüsselkompetenzen ausführlicher diskutiert.

[141]   Umwelt ist Umwelt von Systemen als Kommunikationseinheiten; Ökologie ist nicht die Beschreibung des Ökosystems: „Ökologie ist für die heutige Gesellschaft eine Form, eine Semantik, eine Beschreibung, mit der die Gesellschaft sich selbst auf Grenzen ihres eigenen Könnens und auf Betroffenheit im Verhältnis zur Umwelt aufmerksam macht, sich sogar alarmieren kann. Es geht also um eine Art, im System über die Differenz von System und Umwelt zu kommunizieren“ (Luhmann 1989, S. 19).

[142]   Luhmann schätzt die Möglichkeiten des Erziehungssystems, zum individuellen Umweltbewußtsein und zur Lösung der ökologischen Probleme beizutragen, als ziemlich gering ein (Luhmann 1986, S. 193ff u. 1989, S. 25ff). Eine frühere Bilanzierung der Schrift Ökologische Kommunikation für die Umweltbildung leistete Rohde (1992). Neben den politischen Nachteilen und den Problemen der pädagogisch unakzeptablen Entsubjektivierung, sieht er mögliche „Reflexionsgewinne“: „tiefere Durchdringung der gesellschaftlichen Komplexität, Aufzeigen pädagogischer Grenzen, Handlungsmöglichkeiten und ‚Nischen‘, Beziehen eines relativ ‚ganzheitlichen Standortes‘, der es ermöglicht, ökologische und gesellschaftliche Vernetzungen besser zu verstehen....“ (Rohde 1992, S. 401).

[143]   Zwei Prämissen gehen in Kahlerts Untersuchung ein. Da es keine allgemeine Theorie der Umweltkrise gibt und auch in Zukunft kaum geben wird, weil dies eine allgemein akzeptierbare Theorie von der Gesellschaft voraussetzen würde, schlägt Kahlert pluralistische Ansätze vor. Wegen der notwendigen Bewertung von Fakten kann es zwar weder eine objektiv richtige Beschreibung der Umweltkrise noch einen objektiv richtigen Weg aus der Umweltkrise geben, dennoch könne oder solle man – so Kahlert – einzelne Aussagen überprüfen, ob sie spekulativ oder begründet sind, ob sie auf einem zu einfachen Modell der Wirklichkeit aufbauen, ob Werturteile als Tatsachenbeschreibung auftreten und die Aussagen gegen ein gesichert geltendes Wissen verstoßen oder sie diesem Wissen entsprechen. Hier gibt es Ähnlichkeiten zu dem konzeptuell-konstruktivistischen Pluralismus von F. Heyting, der in 2.6.4 beschrieben wurde.

[144]   Die Kritik von de Haan erwähnt Kahlert (1996 oder früher) eigenartiger Weise nicht. Er legt seine offenbar deutlich veränderte Sichtweise von Verständigungsorientierung nicht explizit und selbstkritisch offen, was kein gutes Beispiel seines eigenen reflexiven Anspruches ist.

[145]   Umweltrisiken und -einschätzungen stellen vieldimensionale Konstrukte (vgl. Kapitel 4) dar, die von intuitiven Wahrnehmungen, Interessen, Wissen, Motivationen, Wertungen (insbesondere unterschiedlichen Ursachenzuschreibungen) und Kommunikationsprozessen in einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft beeinflußt werden. Risiken lassen sich nicht aus dem objektiven Zustand der Natur und Umwelt herleiten, Umweltprobleme können nicht beliebig herbeikommuniziert werden. Z. B. kann ohne naturwissenschaftlich-technisch feststellbare erhöhte Strahlenemission nicht über Kernenergie als Umweltproblem kommuniziert werden.

[146]   Vgl. den Abschnitt 2.7.5 über eine ethische Ausrichtung der Umweltbildung.

[147]   Trotz dieser Einschränkung und der geäußerten Bedingung, daß der Ausgangspunkt der Kritik gesichert ist und die Problemdefinitionen nicht allzu simplifizierend sind, scheint mir hier doch ein heimliches Abrücken von dem ursprünglichen Verzicht auf allgemeine Begriffe und Aussagen vorzuliegen.

[148]   Hier reduziert sich der konzeptionelle Unterschied zu de Haan (s. obige Kritik) womöglich auf den Unterschied zwischen der Differenz in der Einheit und der Einheit in der Differenz bzw. auf den im Umgang mit Differenzen. Der Unterschied dürfte für die pädagogische Praxis oder gar ihre Wirkung auf die Lernenden eher von sekundärer Bedeutung sein.

[149]   Da die Partizipationsdebatte (vgl. Kapitel 3) inzwischen auch das Nachdenken über einen anderen politischen Umgang mit Differenzen und Dissens angeregt hat, könnte der Unterschied zwischen politischer und pädagogischer Sphäre in Zukunft wieder geringer werden.

[150]   Vgl. den radikal-konstruktivistischen Begriff Passung (4.6).

[151]   Luhmann (1986, S. 40) versteht in seiner Systemtheorie darunter: „Der Zusammenhang zwischen System und Umwelt wird ... dadurch hergestellt, daß das System seine Selbstreproduktion durch intern zirkuläre Strukturen gegen die Umwelt abschließt und nur ausnahmsweise, nur auf anderen Realitätsebenen, durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt werden kann. Eben diesen Fall bezeichnen wir als Resonanz.“ Der Begriff der Resonanz wird im Sinne von gegenseitigen „Anschlußfähigkeiten“ von geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch als Begründung für den Aufbau dieser Arbeit verwendet (s. 1.2).

[152]   S. z. B. Rheingans (1997) und Rheingans/de Haan/Kuckartz (1998) zu den Kommunikationsformen in den Initiativen und Prozesse der Lokalen Agenda 21; Beispiele zu einigen Themenfeldern finden sich bei de Haan (1996d u. 1998g).

[153]   Eine ganz andere Ebene der (individuellen) Kommunikation, nämlich die auf elektronischen Wege gewinnt durch das Word Wide Web (www) an Bedeutung, deren Konsequenzen jedoch noch nicht absehbar sind. Vgl. Apel (1997b) und de Haan/Kuckartz (1998b).

[154]   Vgl. auch Becker (1986a) und Abschnitt 2.4. Ein bildungspraktischer Hintergrund für eine kulturelle Orientierung erwuchs aus meinen kultur- und museumspädagogischen Interessen, und entsprechenden kontinuierlichen Aktivitäten und Lehrangeboten seit ca. 1981 in Osnabrück (s. Becker 1986c, 1988 u. 1990b).

[155]   Letzteres traf in einem ausgeprägteren Sinne schon auf die nur bis 1987 erschienene Zeitschrift Ökopäd zu, an der ich bis 1986 mitgearbeitet hatte (2.3.2).

[156]   Der Text weicht in seinen Formulierungen sprachlich etwas vom veröffentlichten Text ab, den die Redaktion der Zeitschrift bearbeitet hatte. These 5 entspricht zusammen mit der hier weggelassenen These 2 inhaltlich der These 2.4 aus diesem Kapitel zur „kulturellen Orientierung“ der Umweltbildung.

[157]   Eine präzisierte Formulierung von These 2 findet sich in in 2.4.

[158]   Die Argumentation thematisierte das Verhältnis von Kultur und Ökologie im Kontext der Frage nach einer ökologischen orientierten Bildung, prägte dazu jedoch keinen eigenen Begriff für eine neue Umweltbildung.

[159]   In dieser Formulierung ist die Kulturorientierung enger angelegt als die Rolle der kulturellen Dimension einer ökologisch orientierten Bildung im Sinne meines eigenen, oben umrissenen Verständnisses.

[160]   Offen bleibt, wie dadurch Maßstäbe für Veränderungen gewonnen werden können bzw. ob sich auf einer solchen Basis überhaupt Veränderungen realisieren lassen.

[161]   Diese Zielsetzung der vorgelegten Entwürfe für eine unterrichtspraktische Umsetzung wird schon in der Themenformulierung deutlich: „Zur Natur des Menschen gehört die Kultur“ (Glöckner 1995, S. 178ff), „Technikentwicklung als Koevolution von Natur und Kultur“ (S. 209ff), „Der Mensch kultiviert seine natürlichen Verhaltensweisen“ (S. 255ff), „Kultur bewertet und kanalysiert die biologisch bedingte Ausstattung“ (S. 295ff).

[162]   Demgegenüber gestellt wird eine „Verifikationsstrategie“, die den „wahren“ Weg und damit Sicherheiten zu erkennen versucht. Als Beispiel wird der Ansatz von Bölts (1995) diskutiert, der in der Interpretation der Herausgeber die „Aneignung von Orientierungswissen“ anstrebt, das auf klaren Begriffen von Natur und Gesellschaft, der reflektierten Rolle der Bildungsinstitutionen und einem angemessenen Verständnis der individuellen und sozialen Lage der Betroffenen basiert. Das Konzept von Bölts wird in 2.8 primär unter dem Aspekt eines regionalen Ansatzes vorgestellt.

[163]   „Während bei einem Naturerlebnis das unmittelbare Hier und Jetzt des Gegenstandes im Vordergrund steht, können kulturelle Methoden die Natur reflektierter, distanzierter, differenzierter, historischer und trotzdem sinnlich erfahrbar und ökologisch sensibilisierend thematisiert werden“ (Frech/Halder-Werdon 1997, S. 18). Wie weit das Spektrum kulturorientierter Ansätze sein kann, sieht man an dem Beitrag von Schleske (1995, S. 235), der eine einheitsstiftende „Ökologie des Herzens“ fordert, „eine ökologisch inspirierte Kultur unseres Bewußtseins im Sinne ganzheitlichen, ‚holistischen‘, organismischen und biokybernetisch vernetzenden Denkens, Wahrnehmens und Handelns“.

[164]   Dazu Glaeser/Teherani-Krönner (1992, S. 9): „Während Humanökologie sich als Lehre der Mensch-Umwelt-Interaktionen versteht, deren Traditionen in verschiedenen Natur- und Sozialwissenschaften wurzeln, untersucht Kulturökologie die besondere Ausgestaltung der Mensch-Natur-Beziehungen als Folge kultureller Leistungen. In beiden Fällen werden Gesellschaft und Kultur als unabhängige Variablen angesprochen, womit eine weitgehende Überlappung deutlich wird. Der Unterschied - abgesehen von der auch vorhandenen biologisch-naturwissenschaftlichen Tradition der Humanökologie - besteht vor allem darin, daß Kulturökologie als Teilgebiet der Anthropologie und der Ethnologie sich stets - von der Thematik bis zur Methodologie - auf diese etablierten Fachwissenschaften berufen kann, während Humanökologie weniger eine Fachdisziplin vorstellt als ein in verschiedenen Wissenschaften angesiedeltes Erkenntnisinteresse. Humanökologie ist somit disziplinär weniger gefestigt als Kulturökologie, divergenter, aber eben auch weiter und offener für unterschiedliche Ansätze. Überdies vertreten Humanökologen oft eine ethisch-normative Ausrichtung und verknüpfen gesellschaftliches, auf Natur bezogenes Handeln mit einer moralischen Begründung, etwa der Verantwortung für Natur, und deren Umsetzung in Politik.“ Zur Bedeutung der Humanökologie im Bereich der Umweltethik und -politik vgl. auch Glaeser (1989).

[165]  Im Unterschied zu den älteren „behavioristischen und strukturfunktionalistischen Vorstellungen einer bloß passiven menschlichen Prägung durch gesellschaftliche Faktoren“ wird der Mensch nun als „produktiv realitätsverarbeitendes Subjekt“ verstanden (Mertens 1998, S. 10).

[166]  Querverbindungen gibt es auch zu sozialpsychologischen Ansätzen und Modellen der soziokulturellen Wirklichkeitskonstruktion – vgl. Frindte (1995), der in 4.7 im Kontext des Konstruktivismus-Diskurses dargestellt wird.

[167]  „Ein humanökologisch orientierter Bildungsansatz hebt sonach auf stimulierende Umwelten ab, die als umfassendes Netzwerk von sozial positiven Kontakten und Spielräumen die sich bildende Person auf dem Wehe vielfältiger Rollenübernahme und Aktivität dazu motiviert, ihre Vorstellungen von sich selbst und ihrer Lebenswelt in einer Weise zu erweitern und zu differenzieren, daß sie nun auch selbst gestaltend eingreifen und sich diese Welt zu eigen machen kann“ (Mertens 1998, S. 128).

[168]  S. 2.3.1 und Fußnote 45.

[169]  Einige Grundgedanken des umweltpädagogischen Ansatzes von Mertens wurden schon in 2.3.2 dargestellt.

[170]  Eine Ausnahme ist Strey/Bahadir (1999). Zur Interkulturellen Bildung s. Auernheimer (1996), Nieke (1995), Gogolin/Krüger-Potratz/Meyer (1998) u. a.

[171]  Schon in Eulefeld/Frey/Haft u. a. (1981) wurden ausführlich marktwirtschaftsorientierte und kapitalismuskritische Analysemodelle des Umweltschutzes als Grundlage der curricularen Argumentation gegenübergestellt und harmonistisch als sich nicht notwendig ausschließend betrachtet. Weitere Konsequenzen hatte diese analytische Grundlage für das inhaltliche Konzept jedoch nicht.

[172]  Die Motive des Aussparens mögen sehr unterschiedlicher Art gewesen sein. Offenbar gab es keine Umweltpädagoginnen und -pädagogen, die ökonomischen Aspekten eine positive Rolle in der Bildungsarbeit zukommen lassen wollten, obwohl diese Aspekte in den bildungspolitischen Dokumenten, wie der KMK-Beschluß von 1980 (KMK 1980), enthalten sind: So sollen die Schülerinnen und Schüler unter anderem einerseits „die Verflechtung, ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Einflüsse erkennen, die zu gegenwärtigen Zustand unserer Umwelt geführt haben“, andererseits „erkennen, daß die Sorge für die Umwelt die Auseinandersetzung mit Interessengegensätzen einschließt und deshalb eine sorgfältige Abwägung von ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten notwendig ist“ (KMK 1982, S. 4). Die Erwähnung der Ökonomie in solchen amtlichen Dokumenten entspringt politischer Argumentation und ist Ausdruck eines Kompromisses.

[173]  Die verschiedenen Ansätze unterschieden sich unter anderem durch unterschiedliche Gewichtungen der ökonomischen bzw. der anderen Dimensionen (s. 3.1.3 und 3.2.1).

[174]   An dieser Stelle stellt sich allgemeiner auch die Frage, ob oder wie sich Krisen- und Untergangsszenarien, die mit absoluten Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, der ethischen Einstellungen unter anderem verbunden werden, sich mit nichtdoktrinärer und pluralistischer Bildung vereinbaren lassen (vgl. Gagel 1994). Dies betrifft große Teile der Umweltpädagogik (vgl. dazu Kahlert 1990, Göppel 1991). Gagel setzt im Kontext der politischen Bildung auf kleinschrittiges Vorgehen im Kontext realer gesellschaftlicher Verhältnisse, Kahlert auf Kommunikation, Göppel auf Naturwahrnehmung und ästhetische Bildung. Diese Frage wird in 5.4 nochmals im Kontext des Diskurses über nachhaltige Entwicklung als Strategie reflexiver Modernisierung aufgenommen.

[175]  Zur Rolle der Öko- und Umweltbewegung und ihre Institutionalisierung für die Umweltbildung vgl. Beyersdorf (1998).

[176]  Innerhalb der gemeinsamen Grundlage „Kritische Theorie“ wird keine einheitliche Position vertreten. Fragwürdig ist die dogmatische und polemisch formulierte Abgrenzung gegenüber anderen Ansätzen. Typisch für die Argumentation ist der Schlußsatz eines Aufsatzes in diesem Sammelband, in dem die Möglichkeiten der Bildung sehr überschätzt werden: „Die Bewältigung des ökologischen Problems aber wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit kritische Erziehungs- und Bildungstheorie erkennbar werden lassen kann, daß die Überwindung sämtlicher lebensfeindlicher Momente die radikale Veränderung der kapitalistischen Weltökonomie und die Auflösung der Herrschaftszentren voraussetzt.“ (von Damsen 1995, S. 188). Ausführlicher wurden diese Erkenntnisse bereits früher veröffentlicht (von Damsen 1988).

[177]  Eine detailliertere, sich auf theoretische Grundlagen und etliche diskussionswürdige Einzelheiten einlassende Auseinandersetzung hätte für mich deshalb Bedeutung, weil ich in den 80er Jahren selbst Positionen vertreten hatte, die damit partiell übereinstimmen. Vgl. meine Kritik (Becker 1986a, S. 61f) der damaligen Position von Bernhard, die sich im Grundsatz bis heute nicht geändert hat. Da ein solches Vorhaben den Rahmen dieser Arbeit jedoch überschreiten würde, muß darauf verzichtet werden.

[178]  Dieser interessante, neuere sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen reflektierende Ansatz wird erheblich dadurch beeinträchtigt, daß der Autor auf den fast 100 Seiten einen Schreibstil praktiziert, der ein inhaltliches Verständnis des Textes extrem erschwert. Eine systematische Diskussion von Konsequenzen für die politische Bildung in einer modernen Demokratie leistet Claußen (1997) danach in einer „Streitschrift“.

[179]  Krol unterscheidet beim Begriff Ökonomie zwei Bedeutungen: das praktische Wirtschaftsleben einerseits, in dem es in ökologischer Perspektive darum geht, ökologische Aspekte oder Interessen gegen wirtschaftliche Interessen zu stärken oder durchzusetzen, und das wissenschaftlich-ökonomische Denken andererseits, das sich generell mit Knappheitsproblemen beschäftigt. Die zweite Bedeutung beschränkt sich nicht nur auf Güter oder monetäre Aspekte, sondern es kann auch um Umweltqualitäten gehen. Ökonomie modelliert Umweltprobleme als Verwendungskonflikte, zu deren Behandlung es appellative, planerisch-zuteilende oder anreizschaffende Rahmenbedingungen erzeugende Strategien gibt, die Krol präferiert (Krol 1998).

[180]  Krol gibt in diesem Zusammenhang einen Hinweis, der für Umweltpädagogen sicherlich einen noch ungewöhnlichen Gedankengang darstellt: „Wenn von der Ökopädagogik zu Recht immer wieder auf die Externalisierung der "ökologischen Kosten" unseres Lebensstils hingewiesen wird, dann darf sie umgekehrt bei ihren Verhaltenspostulaten nicht die sozialen und ökonomischen "Kosten der Verhaltensänderungen" externalisieren.“ (Krol 1994). Krol versteht unter Ökopädagogik hier allgemein Umweltbildung.

[181]  In diesem Zusammenhang zu nennen ist auch die in sich wiederum heterogene Strömung des Ökofeminismus, die starke Ähnlichkeiten mit naturbezogenen, ganzheitlichen und tiefenökologischen Denkansätzen hat. An die Stelle der Kritik am Anthropozentrismus als Ursache der Ökologischen Krise tritt die Kritik an den männlichen, patriachalischen oder chauvinistischen Formen der Naturbeherrschung und entsprechenden Naturbildern. Von daher gibt es eine spezifische Tradition der Kritik der Naturwissenschaften - vgl. z. B. Heinsohn (1999), Winterfeld (1997), Hickel (1992), M. Maurer (1989). Der Ökofeminismus hat aber keine ausgearbeiteten umweltpädagogischen Ansätze hervorgebracht, wenngleich sich aus seinen Postulaten spezifisch wissenschaftskritische, ganzheitliche und Subjektivität betonende Konzepte ableiten ließen. Zur Bedeutung der Weiterentwicklung des Feminismus zum Gender-Ansatz für die Umweltbildung s. Franz-Balsen (1998) und 5.2.2.

[182]  Darüber hinaus gibt es Versuche in der neueren Umweltbildung explizit an die Reformpädagogik oder reaktualisierte Formen von ihr anzuknüpfen, z. B. Hasenclever (1993), Salzmann/Meyer/Bäumer (1995), Meyer, C. (1996) (vgl. Regionales Lernen in 2.8.3).

[183]  Vgl. Maaßen (1994), Winkel (1995), Müller, G. J.(1995), Möhring (1997), m. E. auch Kleber (1993) u. a. Zu den theoretisch anspruchsvolleren Ansätzen kann man noch die früheren Veröffentlichungen von Trommer (z. B. 1988, 1992 oder Trommer/Noack 1997) und Janßen (1987 u. 1988) zählen, die hier jedoch nicht vorgestellt werden.

[184]  Die Wirkung naturerfahrungsbezogener Ansätze auf das Umweltverhalten hat Bögeholz (1999) empirisch untersucht (s. auch 5.5).

[185]  Für eine einzelne naturerlebnispädagogische Aktion hat Maaßen ansatzweise auf dieses Problem hingewiesen (s. Maaßen 1994, S. 217).

[186]  Unter Ganzheitlichkeit wird hier die praktische Ganzheit jedes Menschen gegenüber sich selbst, der jeweiligen Situation und der konkreten Umwelt des Menschen verstanden (Winkel 1995, S. 15).

[187]  Winkel war seit 1961 Leiter des Schulbiologiezentrums Hannover.

[188]  Ein Beispiel ist für Winkel die planetarische Ethik von Kleber (1993), die auf dem Gaia-Prinzip beruht. Darauf wird weiter unten in diesem Abschnitt eingegangen.

[189]  Vgl. die Grundsatzkritik von Bernhard (1999, S. 44ff).

[190]  Gaia ist die griechische Bezeichnung für eine Erdgottheit. Die im Rahmen der Mars-Forschung (!) entstandene Hypothese besagt im wesentlichen, daß das Leben, das sich in einer günstigen kosmisch-planetarischen Phase entwickelte, aktiv die Atmosphäre und die Oberfläche des Planeten gestaltete und geeignete physikalisch-chemische Bedingungen schuf – z. T. gegen die kosmische Entwicklung des Planeten. Mit dem Fortschreiten der kosmischen Entwicklung sei nun ein immer größerer Aufwand des Lebenssystems und eine immer umfangreichere Steuerung der Lebensvorgänge zum Überleben notwendig. Das einzige Problem der Menschen in diesem planetarischen Lebenssystem scheint jedoch die krasse Überbevölkerung und die Landwirtschaft zu sein (Kleber 1993, S. 79).

[191]  Tichy (1998, S. 255) kritisiert an dieser Position, daß sie „die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen auf eine bestimmte Position verengt hat“ und daß Kleber dadurch „weder der Pluralität der Lebensbereiche noch der Vielfalt ethischer Gesichtspunkte angemessen Rechnung tragen“ kann.

[192]  Von daher ist es verständlich, daß Kleber auf Ansätze der Permakultur als Selbstversorgungs- und potentielles Bildungsprinzip und in der Schule dann auf Schulgärten als zentralem Erfahrungsraum für ökologische Bildung setzt (Kleber 1993, S. 136ff). Im Unterschied dazu soll ein anderes Konzept von Mitweltpädagogik (Müller, G. J. 1995), das stark biologisch-didaktisch ausgerichtet ist, in zivilisationsferner Natur umgesetzt werden.

[193]  Zur neueren didaktischen Diskussion der Ethik im Rahmen des Schulunterrichts (Ethik, Werte und Normen u. ä.) versucht beispielsweise Tichy (1998) die „Vielheit der Ethik“ anzuerkennen und dennoch eine Einheit ihrer Didaktik herzustellen. Diskutiert wird auch der Themenbereich Ökologische Ethik (Tichy 1998, S. 252-267). Ziel ist hier nicht primär die Hervorhebung ethischer Gesichtspunkte, sondern die Förderung der Fähigkeit, den ethischen Aspekt in ein angemessenes Verhältnis zu anderen Aspekten zu setzen. Denn Ethik kann nach Tichy weder Antworten auf letzte Fragen geben noch ein Mittel zur Lösung individueller, gesellschaftlicher und globaler Probleme darstellen.