2.  Von der Umwelterziehung zur ‚Umwelt-Bildung‘

aus: Becker: Urbane Umweltbildung... Opladen 2001 ( Gesamtbuch beim Autor zu erwerben)


2.3  Vorstufen Ökologischer Bildung

Die in diesem Abschnitt vorgestellten umweltpädagogische Ansätze des Ökologischen Lernens (2.3.1) und der Ökopädagogik (2.3.2) stehen einer (gesellschafts)kritisch verstandenen Bildungskonzeption näher als die meisten Konzepte der Umwelterziehung. Zusammen mit zwei weiteren bildungstheoretisch orientierten Weiterentwicklungen (2.3.3 und 2.3.4), die fast alle in einem engen Zeitraum Mitte der 80er Jahre entwickelt und kontrovers diskutiert wurden, möchte ich diese Ansätze als Vorstufen einer ökologisch orientierten Bildung interpretieren. In der gleichen Zeit hatte ich eine bildungstheoretische Ausrichtung der Umweltbildung und eine naturtheoretische Fundierung der Bildungstheorie gefordert (2.4). All diese Überlegungen und Ansätze unterscheiden sich jedoch von einigen ökologischen Bildungstheorien, die z. T. schon früher entstanden waren und anthropologisch oder systemisch begründet wurden (2.5).

2.3.1  Ökologisches Lernen

Im Rahmen der deutschen Bürgerinitiativ-, Ökologie- und Alternativbewegung der 70er Jahre entstanden vielfältige, selbstbestimmte Lebens- und Lernformen sowie themen- und situationsbezogene Ansätze politischer, insbesondere ökologischer Bildungsarbeit[42], die insgesamt als Ökologisches Lernen bezeichnet wurden. Politisch-umweltpädagogische Ambitionen zeigten sich in vielen ‚grauen Broschüren‘ zu Umweltthemen. Die Konzentration lag dabei aufaufklärende Vermittlung von Informationen und Argumentationen.[43]

Die in diesen sozialen Bewegungen weit verbreitete gesellschafts- und wissenschaftskritische Grundhaltung nahm teilweise auch antigesellschaftliche und antiwissenschaftliche Formen an. Als Motivation und Begründung spielten unterschiedlichste Hintergrundtheorien und -ideologien eine Rolle. Angesichts der sich Ende der 70er Jahre verschärfenden ökonomischen Krise und einer ökonomistisch motivierten Rücknahme umweltpolitischer Reformprogrammatiken auf staatlicher Seite kommt es zu einer diametralen Entgegensetzung zwischen Ökonomie und Ökologie, wobei der Begriff Ökologie zum Zentrum neuer (alternativer, sanfter u. ä.) Lebens- und Gesellschaftsentwürfe wird. Deren Vertreter benutzen außerdem Begriffe wie Wachstum, Industrie, Großtechnik, Megamaschine als Symbole für eine gesellschaftliche Welt, die vollständig abgelehnt wurde.[44]

In die vielfältige Praxis des Ökologischen Lernens flossen Merkmale der Alternativen Pädagogik der 70er Jahre, aber auch Elemente aus der historisch älteren Reformpädagogik ein oder fanden hier neue Anwendungen. Zum Teil wurde das Ökologische Lernen in folgendem Sinne ökologisch verstanden: Die Ökologie als die biologische Wissenschaft von den Lebensumwelten wurde auf die Lernumwelt des Menschen übertragen, die als Bedingungsgefüge menschlichen Lernprozesse verstanden wurde.[45] Neuere Modelle der modernen Naturwissenschaften, z. B. das Selbstorganisationsprinzip des Physikers Prigogine (1980), wurden auf Lernprozesse übertragen (vgl. Dauber 1985, S. 39). Gerade diese Modelle schienen die damals favorisierten politischen Organisationsformen der neuen sozialen Bewegungen zu bestätigen.

In der theoretischen Diskussion des Ökologischen Lernens standen sich vor allem die Ansätze von Beer (1978, 1982 u. 1983) und Dauber (1982 u. 1985) gegenüber. Beer formulierte unter Berücksichtigung der politischen Sozialisation in der Ökobewegung „paradigmatische Elemente und Bezüge“ für eine ökologische Bildungsarbeit und für neue politisch-ökologisch ausgerichtete Erwachsenenbildung: Betroffenheit, Kompetenzbewußtsein, Autonomie des Lernens, ein dialogisches Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, Konsensprinzip, Alltags- und Aktionsorientierung, Partizipation, Parteilichkeit sowie die Verbindung kognitiver, emotionaler und aktionaler Aspekte (Beer 1982, S. 299ff). Dies fand sich später in weit verbreiteten, ähnlichen didaktischen Prinzipien der Umweltbildung wieder. Dauber propagierte dagegen im Kern ein nichtpädagogisiertes Eigenlernen und setzte damit auf informelle Lernprozesse in den Neuen sozialen Bewegungen und vor allem innerhalb den gleichzeitig entstehenden alternativen Lebensformen.[46]

Die Vielfalt der pädagogischen Praxis des Ökologischen Lernens und seiner Konzeptionierungen hatte im weiteren Verlauf auf zwei Ebenen Konsequenzen für allgemeine Bildungsvorstellungen: Zum einen strahlte die Idee des Ökologischen Lernens auf andere Bildungsbereiche aus und zog Versuche der Übertragung in die Erwachsenenbildung[47], Schule und Hochschule nach sich.[48] Das Problem der Übertragung auf institutionalisierte Umweltbildung war jedoch nicht nur ein konzeptionelles Problem, sondern zeigte sich in der grundlegend unterschiedlichen Motivationssituation der Lernenden in frei(willig)en Lerngruppen und in Bildungsinstitutionen mit Pflichtteilnahme. Zum anderen entwickelten sich aus der Praxis des Ökologischen Lernens selbst neue institutionalisierte Bildungsangebote, etwa in der Erwachsenenbildung, aber auch in Form von freien Bildungseinrichtungen, die in der Folgezeit in großer Zahl entstanden. Anfangs waren sie z. T. noch eng mit bestimmten ökologisch-politischen oder anderen Zielen der neuen sozialen Bewegungen verbunden. Veränderte Bildungsnachfrage und Probleme der materiellen Existenzsicherung führten allmählich zu einer pragmatischen Abkehr von den ursprünglich betont gesellschaftskritischen Positionen. In Niedersachsen sind freie Bildungseinrichtungen Teil eines flächendeckenden Systems von Umweltbildungseinrichtungen, die auch umliegenden Schulen ihre umweltpädagogischen Dienstleistungen anbieten.[49] Dies sind in der Regel traditionelle naturerlebnis- und naturkundlichorientierte oder auch reformpädagogisch geprägte Formen der Umweltbildung.[50]

Trotz berechtigter Kritik an fragwürdigen Erscheinungsformen, Ausrichtungen und Defiziten des Ökologischen Lernens, die vor allem von Seiten der damaligen Ökopädagogik kam (s. 2.3.2), sorgte Ökologisches Lernen in seiner Gesamtheit für die dauerhafte Etablierung wichtiger bildungs(theorie)relevanter Aspekte wie Alltags-, Handlungs- und Regionalorientierung (2.8), Selbstbestimmung, Partizipation (s. Kapitel 3), aber durchaus auch Naturerlebnis- und -wahrnehmungsorientierung sowie Ganzheitlichkeit (s. 2.7.4). Soweit unter Ganzheitlichkeit die Verfolgung unterschiedlicher persönlicher Zugänge zu Sachthemen verstanden wird, findet eine Verknüpfung zwischen dem inhaltlichen Bereich epochaltypischer Schlüsselprobleme und dem formalen Bereich statt, den Klafki „Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ nennt. In bezug auf die subjektive Verankerung und Wirksamkeit der Umweltbildung ist dies ein für sie unverzichtbarer Aspekt, der auch in einer allgemeinen Bildungsvorstellung Berücksichtigung finden sollte.[51]

2.3.2  Ökopädagogik und Kritik

Die um das Zeitschriftenprojekt Ökopäd[52] herum Anfang der 80er Jahre entstandene Ökopädagogik stellte in ihren ursprünglichen Motiven eine kritische Fortentwicklung des Ökologischen Lernens dar. Sie basierte auf damals verbreiteten Gesellschafts-, Wissenschafts-, Erziehungs- und Ideologiekritiken und unterwarf die vorliegenden Umwelterziehungskonzepte einer grundsätzlichen und häufig scharf formulierten Kritik (s. 2.2.2). Bald richtete sich die (Selbst)Kritik auch auf zentrale Begriffe und Theoreme des Ökologischen Lernens: Ganzheitlichkeit, Betroffenheit, Natürlichkeit, Ökologie u. a. (de Haan 1982).[53] Der damals geführte ökopädagogische Diskurs brachte keine in sich homogene Richtung oder gar ein festes Konzept hervor, sondern zunächst ein offenes Spektrum ‚kritischer Ansätze‘[54]. Diese waren sich zwar in der Betonung der reflexiven Momente von Umweltbildung und in ihrem mehr oder weniger zukunftsoffenen Anspruch einig, keineswegs jedoch in allen ihren analytischen Positionen, inhaltlichen und pädagogischen Zielsetzungen, geschweige denn im Hinblick auf praxisbezogene Ansprüche institutioneller Bildungsbereiche.[55] Auch verwendeten nicht alle die Selbstbezeichnung Ökopädagogik (s. auch 2.3.3). Diese Heterogenität trifft sogar für das deshalb oft bis heute mißverstandene Hauptwerk[56] dieser Richtung zu, das den Titel „Ökopädagogik. Aufstehen gegen den Untergang der Natur“ (Beer/de Haan 1984) trägt. „Ökopädagogik heißt dialogisch lernen und lehren, sich lernend in Bewegung halten. Dies gilt gerade für die, die auf der Suche nach der anderen Pädagogik sind.“ Diese wichtige Aussage der Herausgeber aus dem Vorwort (S. 10) zugunsten einer offenen Position entsprach nicht immer der Kommunikationspraxis innerhalb der Ökopädagogik. Ihre innere Pluralität und die verwandter Ansätze wurde von ihren Vertretern in ihrer Gesamtheit kaum als positiven Wert angesehen, wie man dies aus heutiger partizipationstheoretischer, pluralistischer oder postmoderner Perspektive tun würde.[57]

Den Versuch einer begrifflichen Präzisierung der Ökopädagogik unternahmen Beer und de Haan (1986) durch systematische Abgrenzung der drei schon vorher unterschiedenen Haupttypen der Umweltpädagogik (Umwelterziehung, Ökologisches Lernen, Ökopädagogik) anhand von vier Aspekten:

Erstens, ob es gelingt, das ökologisch-pädagogische Handeln davor zu bewahren, zur Hilfsfunktion für politisches Krisenmanagement zu werden. Zweitens, wie tief die Kritik am heutigen Umgang mit der Natur in diesen Ansätzen reicht. Drittens, wie aufgrund der überlebensbedrohenden Situation das Verhältnis zur Zukunft bestimmt wird. Viertens, in welchem institutionellen und organisatorischen Rahmen sich das gegen die ökologische Krise gerichtete Lernen vollzieht bzw. vollziehen kann. (Beer/de Haan 1986, S. 36)

Ökopädagogik wird nun als „Frage- und Suchkonzept“ definiert,

das die Voraussetzungen der ökologischen Krise ebenso radikal hinterfragen will wie die derzeit angebotenen unterschiedlichen Lösungsansätze. Es soll nicht für eine bestimmte Zukunft erzogen werden, aber gleichzeitig herrscht Skepsis gegenüber einem Lernen en passant. Statt dessen wird die Zukunft bewußt ganz offengehalten, um sie gestaltbar zu machen für vieles und durch viele. ... Ökopädagogik hält fest an einer Bildungsidee, die der bloßen Utilitarität mit kritischer Distanz und der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse begegnet – ohne sich von der Gesellschaft abzuwenden. Sie hält fest am Konzept der Selbstbestimmung in Reflexion sowie an der Idee des pädagogischen Verhältnisses, das ein dialogisches und frei von Zwängen ist. (Beer/de Haan 1986, S. 42)[58]

Den theoretischen Hintergrund dieser Vorstellung von Ökopädagogik hatte vorher de Haan (1985) geliefert: Die ökologische Krise, die auf die weltweit sich durchsetzende „produktivistische Logik“ im Sinne von André Gorz zurückgeführt wird, impliziert eine Krise der Pädagogik, denn das Verhältnis zur Natur wird auch über Erziehungs- und Bildungsprozesse, insbesondere durch den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht vermittelt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Zukunftsbezug von Pädagogik bzw. die Bedingungen der Möglichkeit einer radikal gedachten, offenen Zukunft, die nicht auf Ausbeutung von Natur basiert. Diese bildungstheoretische Frage macht nach de Haan die Erörterung der wissenschafts- und erkenntniskritischen Frage nach dem herrschenden bzw. nach einem neuen Naturumgang sowie „utopisches Denken“ im Sinne des marxistischen Philosophen Ernst Bloch notwendig, das wiederum der Selbstreflexion unterliegt.

Von den meisten externen Kritikern der Ökopädagogik[59], die selbst wiederum aus sehr unterschiedlichen Richtungen argumentierten, wurde die innere plurale Situation ignoriert oder nicht durchschaut. Es sollen hier vier Varianten grundsätzlicher Kritik Erwähnung finden, die bis 1992 veröffentlicht wurden, die sich allerdings nur bedingt auf die hier präsentierte ökopädagogische Position im engeren Sinne beziehen:[60]

Aus der Perspektive einer bestimmten traditionalistischen marxistischen Position spricht Bernhard (1986a u. 1986b)[61] bezogen auf den größten Teil der damaligen Umweltpädagogik z. T. polemisch von einer überflüssigen „Bindestrich-Pädagogik“, einer „pädagogischen Reproduktion des allseits sichtbaren irrationalistischen Komplexes großer Teile der neuen sozialen Bewegungen“, desweiteren von „Theoriefeindlichkeit“, „Orientierungslosigkeit“ und „bürgerlichen Reaktionsmustern“. Die Begründung moniert im Kern das Fehlen der Marxschen „Kritik der Politischen Ökonomie“. Trotz dieses fragwürdig erscheinenden Dogmatismus von Bernhard ist meiner Ansicht nach die Reflexion der „ökonomischen Bedingungen und Strukturen der gegenwärtigen Gesellschaftsformation“ für eine kritische und realistische (Umwelt)Bildung unabdingbar, die sich in diesem Punkt eindeutig von rein natur- und/oder individuumsbezogenen Strömungen der Umweltpädagogik unterscheidet.[62]

Die bereits erwähnte Kritik von Mertens (1989) argumentiert auf einer natur- und kulturanthropologischen sowie ökologisch-ethischen Basisund unterstellt der Ökopädagogik eine generelle kulturpessimistische und naturromantisch-idealistische Prägung und eine Ausgrenzung jeglicher der „industriegesellschaftlichen Funktionalität aus dem Bildungsbegriff“[63].

Der Geograph Hard (1989) kritisiert aus fachlich externer Sicht scharfzüngig ökopädagogische und ökoethische Texte[64] vor allem wegen deren Bindung an unbestimmte, wertgeladene, holistische und ganzheitlich gedachte Konstrukte wie Natur, Ökologie, Umwelt, Region, Bildung u. a., aus denen seiner Auffassung nach nur undifferenzierte Ratschläge folgen könnten. Da diese Begriffe außerhalb der „pädagogischen Provinz“ längst szientistisch zersetzt, ausdifferenziert und redefiniert seien, fordert Hard eine pädagogische Theorie, die „einer differenzierten Gesellschaft und differenzierten Individuen (z. B. den Schülern) gerechter“ wird und die Differenzierungen auch als „Options- und Freiheits-Chancen“ beschreiben könnte (Hard 1989, S. 195ff).[65] Diese Forderung wird mit einer anderen Begründung erst in jüngster Zeit in der Umweltbildung diskutiert, z. B. im Kontext einer Kultur- oder Lebensstilorientierung und der Diskurse über Individualisierung und „zweite Modernisierung“ im Sinne der sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen von Beck u. a. (s. 2.7.2 und 2.7.3).

Bevor ich zu der erst später veröffentlichten, vierten Kritikvariante komme, sei angemerkt, daß nach dem Ende des organisierten Diskurses um die Zeitung Ökopäd im Jahre 1987 der Begriff Ökopädagogik im weiteren Verlauf der umweltpädagogischen Konzeptentwicklung zunehmend sein Profil verlor: Entgegen seiner ursprünglichen mehrdimensionalen Reflexivität wurde er nun auch in eindeutig normativen und naturalistischen Bedeutungen, z. T. auch als Synomym für ‚normale‘ Umwelterziehung verwendet.[66] Damit verlor der Begriff Ökopädagogik endgültig jegliche spezifische Bedeutung.[67]

Heid (1992 u. 1994) stellte vor allem die logische und (erkenntnis)theoretische Haltbarkeit zentraler Annahmen umwelt- und ökopädagogischer Konzeptionen der 80er Jahre und insbesondere den häufig zugrundeliegenden Naturalismus in einem Maße in Frage, die über die von ihm nicht zur Kenntnis genommene ökopädagogische Kritik[68] am Begriff Natürlichkeit (de Haan 1982) hinausging (s. 2.3.2). Speziell kritisiert Heid ökoethische Argumentationen auf Basis der Vorstellung eines Eigenrechtes der Natur, undifferenzierte oder in sich widersprüchliche Formulierungen wie „Zerstörung der Natur“, Schönheit der Natur, Forderung der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung und der darauf basierenden Naturbeherrschung, u. ä. Statt dessen sollte Heids Auffassung nach eine sozial differenzierte Betrachtung des menschlichen Naturverhältnisses nach konkurrierenden (Be)Nutzungszwekken zur Grundlage gemacht[69] und die von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren umweltschädigenden Verhaltens systematisch beachtet werden (vgl. 2.7.3). Als Konsequenz sieht er viele umweltpädagogische Ziele eher als Aufgaben der Politik an und setzt im Widerspruch zur betont politischen Ausrichtung der Ökopädagogik und verwandter Ansätze bescheidener dagegen: „Das ‚Pädagogische‘ in einer an sich nicht pädagogischen Praxis ist die Entfaltung der Kompetenz, die zur kritischen Reflexion, Überprüfung, Revision und permanenter Erneuerung dieser Praxis befähigt.“ (Heid 1992, S. 133).

2.3.3  ‚Ökologische Bildung‘ – weitere Ansätze

Bevor hier aus einer umfassenderen Perspektive einer ökologisch orientierten Bildung eine Bilanz der in 2.3.2 dargestellten Debatte gezogen wird, gehe ich in diesem Abschnitt auf weitere Ansätze im Umfeld der Ökopädagogik ein, die alle diesen Begriff nicht als Selbstbezeichnung verwendeten und dennoch mehr oder weniger verwandte Positionen vertraten. Zum Teil war eine eindeutige Zuordnung in die Konstruktion der damaligen drei Hauptgruppen (Umwelterziehung, Ökologisches Lernen, Ökopädagogik) unmöglich: das Ökologie Lernen (Michelsen und Siebert), eine kritisch-emanzipatorische Umwelterziehung (Manke), Ökologische Bildung (Mikelskis), eine subjektbezogene Umwelterziehung (Meyer, P.) und – auf einer anderen Argumentationsebene angesiedelt – ein grün-alternatives Bildungskonzept (Preuss-Lausitz, in 2.3.4).[70]

Ebenfalls Mitte der 80er Jahre wurde das praxisorientierte, aber dennoch theoretisch anspruchsvolle und kritische Konzept Ökologie Lernen von Michelsen und Siebert (1985) vorgelegt. Es bezog sich in seinen Beispielen auf Erwachsenenbildung und Schule. Dies Buch war das bis dahin umfassendste Grundlagenwerk, das dennoch einführenden Charakter hatte: Die Ökologieproblematik wird breit entfaltet und diskutiert. Sie schließt auch ethische und anthropologische Aspekte ein. Pädagogisch wird Ökologie „im Spannungsfeld zwischen Politik, Lebenswelt und Wissenschaft“ angesiedelt. Das Wissenschaftsverständnis der Autoren erkennt die Bedeutung der Wissenschaftskritik an, ohne die Wissenschaft deshalb generell abzulehnen. Statt dessen wird eine wertbezogene ökologisch orientierte Wissenschaft gefordert. In der Betonung reflexiver Momente und in der institutionellen Ausrichtung wird der Hauptunterschied zum Ökologischen Lernen deutlich. Die begriffliche Nähe zeigt sich in der Übernahme von Postulaten und Methoden aus diesem Konzept, die in dem neuen Kontext eine andere Bedeutung und Realisierungsform erhalten. Der pädagogische Ansatz dieser Autoren stellt kein theoretisch geschlossenes, in sich konsistentes Konzept dar, sondern wird als „Suchbewegung“ in Richtung einer ökologischen Bildung verstanden, die als Kern einer modernen Allgemeinbildung gedacht ist.

Manke (1985 u. 1986) geht von einem kritisch-emanzipatorischen Erziehungsbegriff aus und stellt Widersprüche zu umweltpädagogischen Perspektiven fest, die sich zu eng auf einen naturwissenschaftlich verstandenen Ökologiebegriff beziehen, sich auf Überlebenssicherung beschränken, Öko-Ethiken zur Hauptgrundlage machen oder Ursachen in anthropologischen Defiziten des Menschen sehen.[71] Statt einen häufig in solchen Konzepten geforderten „Paradigmenwechsel“ im Verhältnis Mensch-Natur vorzunehmen, plädiert Manke für eine Erweiterung des Emanzipationsverständnisses, das auf „ein in der Gesellschaft aufbrechendes Interesse, das sich am Widerspruch von Glücksverlangen und vorenthaltener Erfüllung entzündet“ setzt. Auch Manke versteht Ökopädagogik als Kern einer modernen Allgemeinbildung, die sich gegen ökonomistisch-technische Naturausbeutung und die sie begünstigenden Gesellschaftsstrukturen, aber auch gegen sozialtechnische Erziehungskonzeptionen richtet. Manke sieht ein gemeinsames Interesse von Ökologischem Lernen, emanzipatorischer Erziehung und schulkritischer Didaktik an entschulten Bildungsprozessen. Die hierfür notwendigen Handlungsperspektiven der Subjekt-, Alltagsorientierung und Erfahrungsoffenheit sind gleichermaßen als ökologische und pädagogisch-didaktische Argumente für ungewöhnliches Lernen zu verstehen. Insgesamt empfiehlt Manke kritischen Pädagoginnen und Pädagogen einerseits sowohl mit einer Pädagogisierung der Ökologie als auch mit der Ökologisierung der Pädagogik bescheiden umzugehen, andererseits die in der Ökopädagogik verbreitete und berechtigten Zurückhaltung gegenüber jeglichen normativen Leitideen und der Kategorie einer wünschenswerten Zukunft nicht zu einer „postmodernen Beliebigkeit“ werden zu lassen. Es geht Manke um eine Vermittlung zwischen Überlebensproblemen bzw. der ökologischer Krise und dem Emanzipationsanspruch: Emanzipatorische Bildung muß sich stärker an normativen Optionen der Überlebensfragen orientieren, während ökologisch orientierte Ansätze von Pädagogik nicht die Frage nach dem gelingenden Leben ausblenden dürfen.[72] Die Schwäche dieses Ansatzes ist, daß er vollständig auf eine Erkenntnis- und Wissenschaftskritik an den Naturwissenschaften verzichtet bzw. auf Versuche der Neubestimmung des Naturverhältnisses, wie sie in verschiedenen, meist zivilisations- und kulturkritischen Ansätzen im Kontext der Ökobewegung, aber auch schon zuvor gesellschaftstheoretisch im Sinne der Kritischen Theorie (Marcuse, Horkheimer, Adorno, Sohn-Rethel, Bloch) fundiert im Kontext der Studentenbewegung ab 1968 geleistet wurde (vgl. 2.6.2 und 4.1).[73]

Mikelskis (1988a u. 1988b) verwendet als einer der wenigen in der damaligen Zeit den Begriff Ökologische Bildung. Sie habe die Aufgabe, den verloren gegangenen Zusammenhang des Menschen mit der Natur, also das Mensch-Natur-Verhältnis im Bereich Erleben, Erkennen und Handeln wieder herzustellen. Ökologische Bildung charakterisiert Mikelskis durch sieben Elemente – ohne Anspruch, damit ein vollständiges und trennscharfes Kriteriensystem vorzulegen: Lernen aus Betroffenheit; unsere heutige Situation in ihrer Geschichtlichkeit begreifen; Entwicklung der Sinne und Schulung der Wahrnehmungen; ganzheitlich lernen; Ausbildung von Urteilskraft; Handeln lernen; Orientierung auf eine phantasievolle Gestaltung der Zukunft. Im Grunde handelt es sich um eine unsystematisch erscheinende Sammlung von Theoremen, die im wesentlich dem Denken des Ökologischen Lernens entsprechen bzw. von der Tradition der Ganzheitlichkeit im Sinne der Naturvorstellungen von Goethe (vgl. Mikelskis 1988b, S. 106ff) beeinflußt ist. Ein paar Jahre später wird der Gedanke weiterentwickelt. Mit Bezug auf die ökologische Naturästhetik G. Böhmes (1989) und ältere Quellen werden die drei Ebenen der Erkenntnisweise, ‑reichweite und das Erkenntnisziel beziehende Erkenntnispolaritäten als kategorialer Rahmen der Ziele, Inhalte und Methoden der Umweltbildung definiert. Zur Erkenntnisweise heißt es beispielsweise:

Erkenntnis kann, unter vorrangiger Begründung auf Phantasie, auf intuitiven Elementen beruhen. Eine solche Erkenntnisweise wird in der Regel dem Künstler zugeordnet und kann auch als ganzheitlich und ästhetisch bezeichnet werden. Dem polar gegenüber steht der auf Logik bauende Verstandeseinsatz, der als Kennzeichen der, im allgemeinen dem naturwissenschaftlichen Vorbild folgenden, Wissenschaft generell gilt. Die Methode der Abstraktion ist dabei die dominante Erkenntnisweise. (Mikelskis 1993, S. 77)

In der Umweltbildung gilt es nun, als umfassende Ökologisierung des Lernprozesses diese Polarität zu entfalten, d. h. sie soll im Grundsatz ständig gegenwärtig gehalten und gleichberechtigt berücksichtigt werden.[74]

Zum Abschluß der Beispiele in diesem Abschnitt sei die Arbeit von Peter Meyer (1986) erwähnt, weil er nach einem Jahrzehnt schulischer Umwelterziehung und der (un)ausgesprochenen Hoffnung, mit dieser Erziehung eine grundlegende Veränderung herbeizuführen, eine erste kritische und betont pädagogische Bilanz zieht und fragt, ob die Schule „mehr zu bewirken imstande ist, als aufgeklärte Resignation“ (Meyer, P. 1986, S. 5). Auf Basis einer Argumentation, die das lernende Kind in den Vordergrund stellt und vor dem Hintergrund Meyers Einschätzung, daß Umweltprobleme gesellschaftlich als politische Interessenfragen debattiert werden, kommt er– damaliger schulischer Konzeptdiskussion weit voraus – zu folgendem Schluß: Statt des bisherigen Vorrangs von Aufklärung und moralischen Appellen, der kaum Wirkung hatte, soll die Situation der Schülerinnen und Schüler in ihrer Umwelt in den Mittelpunkt von Umwelterziehung rücken. Umwelterziehung soll also die Lernenden darin unterstützen, die Fremdbestimmung in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt abzubauen und ihre Interessen an der Umwelt und an deren zukünftigen Gestaltung ebenfalls in die öffentliche Debatte einzubringen (Meyer, P. 1986, S. 7 u. a.). Im Mittelpunkt des didaktischen Ansatzes steht die Repräsentation und Bearbeitung der Wirklichkeit im Unterricht, die Hilfe leisten soll für die Vermittlung öffentlicher Perspektiven des jeweiligen Themas und der Sinndeutung der Schülerinnen und Schüler (Meyer, P. 1986, S. 231). Dieser Ansatz ist aus der Sicht der heutigen Umweltbildungsdebatte und des darin betonten Prinzips der Partizipation und der Handlungsorientierung sehr aktuell und erfüllt Kriterien eines bildungsorientierten Ansatzes (vgl. 3.8). Leider schlugen sich solche Ansätze weder in der weiteren Theoriebildung schulischer Umweltbildung noch in der schulischen Praxis in nennenswertem Umfang nieder.[75]

Durch den sehr kontrovers ausgetragenen Diskurs innerhalb der Ökopädagogik und ihrem hier vorgestellten konzeptionellen Umfeld wurden wichtige Impulse für eine kritische und fundiertere Umweltbildung freigesetzt. Einerseits wurden die Theoreme des Ökologischen Lernens relativiert oder man brachte sie in eine reflektiertere Fassung, andererseits hat der gesamte Diskurs etliche verschiedene Elemente eines kritischen bildungstheoretisch fundierten Denkens hervorgebracht. Auf Basis einer bildungstheoretischen und naturgeschichtlichen Argumentation kann man die damalige (kritische) Ökopädagogik bzw. Ökologische Bildung auch wie folgt charakterisieren:

Jedes Bemühen, von einem richtigen und damit wahren Umgang mit Natur zu sprechen, stößt sich daran, daß es historisch gesehen vielfältige Formen des Umgangs mit ihr gab, deren jeweiliger Wahrheitsanspruch nicht die Zeiten überdauerte. Erst über die Reflexion auf die historischen Varianten des Umgangs mit der Natur und die Berücksichtigung des jeweiligen Bedingungsgefüges kann dies einsichtig werden und kann daraus ein Beitrag zur Bildung der Person werden. (de Haan 1991, S. 94)[76]

Diese Position sollte aus heutiger Sicht auch auf die Umweltbildung selbst angewendet werden, impliziert also ihre plurale Konzeptionierung.

2.3.4  Ein grün-alternatives Bildungskonzept

Die Gründung der Partei Die Grünen kann man als Ausdruck eines Versuches verstehen, die verschiedenen sozialen Bewegungen zu bündeln, die seit den 70er Jahre entstanden waren. So gesehen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich entsprechende Überlegungen im Bildungsbereich niederschlugen. Preuss-Lausitz (1986a, 1986b, 1986c, 1988a u. 1988b) gehörte zu den ersten und wenigen, die aus einer primär bildungspolitischen und ‑reformerischen Perspektive ein neues Konzept moderner Allgemeinbildung entwickelten, das zur Sicherung der Zukunft beitragen sollte.[77] Sein Beitrag steht gleichzeitig im Kontext der damaligen Renaissance des allgemeinen Bildungsdenkens, das sich sowohl auf bildungspolitischer als auch bildungstheoretischer Ebene niederschlug (ausführlicher in 2.6). Vor diesem Hintergrund ging es nicht nur um eine, wie auch immer verstandene Umweltbildung oder gar speziell um Kernenergie, sondern ebenso um die Friedensfrage, die sich auch in einer sozialen Bewegung thematisiert und in der neuen Partei Die Grünen stark repräsentiert war. Es ging um weitere zentrale gesellschaftliche Themen: die schwindende Bedeutung von Berufstätigkeit mit ihren Konsequenzen, Technologieentwicklung und Neue Medien, multikulturelle Entwicklung, aber auch die damals diskutierten „neuen Sozialcharaktere“, Sozialisationsbedingungen und jugendliche Lebenswelten. Mit diesem Ansatz wurde insofern ein Bruch mit der bisherigen kritischen umweltpädagogischen Diskussion der Ökopädagogik und des Ökologischen Lernens vollzogen, als eine ‚konstruktive‘ Alternative innerhalb des Bildungssystems, speziell im Bereich der schulischen Allgemeinbildung vorgestellt wurde. Deshalb war Bildung für Preuss-Lausitz weder als Fortsetzung des Bisherigen denkbar noch durch bloßen Rekurs auf die „verschütteten Absichten des aufklärerischen Bildungsbegriffs“. Er erteilte aber auch allen Versuchen eines Ausstiegs aus der Geschichte und einer Rückkehr zu vormodernen Zeiten eine deutliche Absage. Von daher war für Preuss-Lausitz Zukunft und Bildung nur auf Basis eines gebrochenen Verhältnisses zu den Glaubenssätzen der Moderne denkbar, also zu dem „herrschenden Verständnis von Wissenschaft, Technik, Rationalität, Fortschritt, zur bloßen Aufklärung als oberstem Wert“ (Preuss-Lausitz 1986a, S. 36). Unverzichtbar war für ihn die Entwicklung von verbindlichen Werten als Grundlage notwendiger Veränderungen:

Nach Hiroshima und Tschernobyl gibt es keine Möglichkeit mehr, auf eine grundlegende und verbindliche Ethik der Friedensfähigkeit und -erhaltung zu verzichten und statt dessen auf den „herrschaftsfreien Diskurs“ zu vertrauen. (Preuss-Lausitz 1988b, S. 31)

Vor allem in diesem Punkt grenzte er sich insbesondere von der damals in neuer Fassung erschienenen Bildungstheorie von Klafki (1985a) explizit ab, der mit seinen epochaltypischen Schlüsselproblemen immerhin eine Öffnung von Bildungstheorie in Richtung aktueller Problemlagen vollzog (vgl. 2.1). Die Position einer Betonung von verbindlichen Werten war im umweltpädagogisch-alternativen Diskurs allerdings sehr umstritten. Eine spezifische grün-alternative Bildungspolitik hat sich trotz des politischen Bedeutungsgewinns der Partei Die Grünen (später: Bündnis 90/Die Grünen) bis heute kaum entwickelt.

2.3.5  Die ‚Erfindung‘ der Umweltbildung

Sechs Jahre nach Verabschiedung der Empfehlung zu „Umwelt und Unterricht“ durch die Kultusministerkonferenz (KMK) führte auf Bundesebene das damalige Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) gemeinsam mit Experten aus den Bildungsbereichen Kindergarten, Schule, berufliche Bildung, Hochschule und Weiterbildung das Symposium Zukunftsaufgabe Umweltbildung durch. Das verabschiedete Arbeitsprogramm sah für alle beteiligten Bildungsbereiche vor, daß sie zum Umweltschutz über fundiertes Wissen, angestrebte Verhaltensveränderungen und entsprechende (öko)ethische Normen beitragen sollten (BMBW 1987ff). Ein Förderprogramm für Modellversuche wurde aufgelegt (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung), auf europäischer Ebene Aktivitäten gestartet und vom EG-Ministerrat entsprechende Beschlüsse zu bildungsbereichsübergreifenden Perspektiven gefaßt (1988: Umweltbildung als bildungspolitische Aufgabe in Europa). In der Folgezeit wurden entsprechende Aktivitäten in einigen Bundesländern durchgeführt.[78]

Ein neuer Begriff war ‚erfunden‘ worden. Er setzte sich bald durch – vor allem im Sinne eines neuen Oberbegriffes für verschiedene Bildungsbereiche und für verschiedene konzeptionelle Ansätze. Auch wenn Umweltbildung im Arbeitsprogramm des BMBW als „Teil zeitgerechter Allgemeinbildung“ verstanden wurde, hatte der Begriff mit Bildung in einem – wie auch immer verstandenen – bildungstheoretischen Sinne zunächst so viel oder wenig zu tun, wie es für die allgemeine Praxis in den jeweiligen Bildungsinstitutionen und -bereiche zutraf.

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[42]     Vorbildfunktion für ähnliche Ansätze hatte hier die freie Volkshochschule Whyler Wald, die im Kontext des langjährigen Widerstandes gegen das badische Atomkraftwerk Whyl ab 1975 entstanden ist (vgl. Beer 1978, S. 95ff und 1982, S. 90ff).

[43]     Strohm (1977) war eine der ersten umweltpädagogischen Publikationen aus der Anti-AKW-Bewegung, die in einem Verlag erschien.

[44]     Diese damals unüberbrückbare Konfrontation hatte auch spezielle Ausprägungen und kulturelle Hintergründe in Deutschland: Vgl. Brand/Büsser/Rucht (1986), Rucht (1994) und Brand/Eder/Poferl (1997).

[45]     Hier gibt es Ähnlichkeiten zu dem ökologisch-psychologischen Ansatz von Bronfenbrenner (1976, 1981a), der sich auf die im ursprünglichen Begriff oikos enthaltene Bedeutung Haus stützt und dann unter Ökologie eine vom Menschen selbst gestaltete und gestaltbare Umwelt versteht. Menschliche Entwicklung definiert Bronfenbrenner als „die Entfaltung der Vorstellung der Person über ihre Umwelt und ihr Verhältnis zu dieser, als ihre wachsende Fähigkeit, die Eigenschaften ihrer Umwelt zu entdecken, zu erhalten und zu verändern“ (Bronfenbrenner 1981a, hier zitiert nach der Auflage von 1989, S. 25). In der Umweltpädagogik wurde dieser Ansatz nur wenig rezipiert. Mertens (1998) hat auf einer ähnlichen Basis inzwischen einen humanökologischen Ansatz entwickelt, der eine allgemeine Grundlage für die Pädagogik und Umweltbildung darstellen soll (s. 2.7.2).

[46]     Dauber stellt seinen Ansatz auch in einen kritischen entwicklungspolitischen und ‑pädagogischen Zusammenhang und in die damalige „Entschulungsdebatte“, die unter anderem durch die zahlreiche Arbeiten von Illich (z. B. 1972, 1978) bestimmt wurde. Illich war auch ein scharfer Kritiker der Umwelterziehung (Illich/Sachs 1984).

[47]     Vgl. Heger/Heinen-Tenrich (1983). Heinen-Tenrich und Meyer (1985) arbeiteten gegenüber Dauber gerade die Möglichkeiten der politischen Erwachsenenbildung heraus, bestanden aber auf dem „Eigenrecht des Lernens“. Siebert (1985), der – weil er „ökologisch“ nicht als Eigenschaft des Lernens ansieht – tritt für ein „Ökologie Lernen“ ein (Michelsen/Siebert 1985).

[48]     Vgl. z. B. Heidorn (1982) im Blick auf den naturwissenschaftlichen Unterricht, dazu Lohmann (1982), Ruppert (1983 u. 1984), Manke (1985, 1986). Auch ich versuchte mich zeitweise in universitären Lehrprojekten daran zu orientieren (vgl. Becker 1983 u. 1987).

[49]      Damit tragen diese halbinstitutionalisierten Nachfolger des Ökologischen Lernens zu einer regionalen Öffnung des Schulwesens und damit zu dessen Modernisierung bei (s. 5.10.1). In der Konsequenz wird damit das Bildungs- und Schulverständnis in einer neuen regionalen Dimension fortentwickelt (2.8).

[50]     Ein Beispiel eines vom theoretischen Ansatz her reformpädagogisch geprägten Konzeptes ist der Ende der 80er Jahre entstandene Lernstandort Noller Schlucht in Dissen, südlich von Osnabrück, der inzwischen auch die Funktionen eines Regionalen Umweltbildungszentrums (RUZ) übernommen hat (s. Salzmann/Meyer/Bäumer 1995), genauer in 2.8.3.

[51]     Hier scheint die schon in 2.1 erwähnte Differenz zu Klafki zu bestehen, der offenbar eine generelle Trennung zwischen den subjektiv zu entfaltenden Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten und dem inhaltlichen, materialen Teil der Bildung als ‚Pflichtprogramm‘ sieht. Ein Modell, das in Richtung einer Ganzheitlichkeit geht, wurde von Mikelskis (1993) auf Basis von „Erkenntnispolaritäten“ entwickelt und seinem Konzept einer Umweltbildung zugrundegelegt (s. 2.3.3).

[52]     Der bundesweit agierende Verein zur Förderung im Bildungsbereich e. V. gab von 1981 bis 1987 die Zeitschrift Ökopäd. Zeitschrift für Ökologie und Pädagogik heraus und veranstaltete regelmäßig bundesweite Tagungen.

[53]     Trotz des breiten Spektrums des Ökologischen Lernens traf diese Kritik mit unterschiedlicher Gewichtung weit verbreitete Grundtendenzen und -probleme.

[54]     In Ökopäd erschienen unter anderem zahlreiche theoretische Beiträge, die die Diskussion vorantrieben, z. B. Daxner (1981), de Haan (1982), de Haan/Ruppert (1983), Heinen-Tenrich/Meyer (1985), Siebert (1985), Manke (1986), Preuss-Lausitz (1986a). Selbst innerhalb der Redaktion von Ökopäd gab es kein einheitliches Verständnis von Ökopädagogik.

[55]     Vor allem an der strittigen Frage eines kritischen und dennoch konstruktiven Praxisbezuges ökopädagogischer Theorieentwicklung und ihrer publizistischer Vermittlung zerbrach letztlich das Projekt Ökopäd – aus meiner heutigen Sicht unter anderem zum Schaden einer möglichen kritischen Fortentwicklung der damaligen schulischen Umweltbildung. Ökopäd wurde Ende 1987 eingestellt.

[56]     Die Bezeichnung Hauptwerk habe ich deshalb gewählt, weil es vermutlich das in der umweltpädagogischen Literatur am häufigsten zitierte Werk darstellt.

[57]     Vgl. beispielsweise die sehr einseitige Interpretation in der Rezension des Hauptwerks in der Zeitschrift Ökopäd von Gehrmann (1985), der Mitglied der Ökopäd-Projektes war. An der Unfähigkeit, mit der inneren Pluralität der Ökopädagogik, dialogisch und produktiv umzugehen, zerbrach die Ökopäd-Redaktion letztlich.

[58]     Zeitgleich und unabhängig zu diesem Artikel von Beer und de Haan hatte ich – entsprechend der damaligen Diskussion – mit etwas anderer Argumentation dieselbe Dreiteilung vorgenommen, sie jedoch perspektivisch durch eine vierte Gruppe ergänzt, für die ich die Bezeichnung ökologisch orientierte Bildung vorgeschlagen habe (Becker 1986a, S. 57-62 und in 2.4). Die inzwischen für die umweltpädagogische Theorie- und Praxisentwicklung längst unfruchtbar gewordene Dreiteilung wird noch lange Zeit in der umweltpädagogischen Literatur verwendet, ohne daß damit immer die selben Begriffsbedeutungen übernommen werden.

[59]     Auffallend ist, daß an der theoretischen Debatte um Ökopädagogik keine Frauen beteiligt waren, obwohl feministische Positionen zum Naturverhältnis in diese Debatte gepaßt hätten (s. Fußnote 181 zum Ökofeminismus in 2.7.4). Dies gilt weitgehend auch für die umweltpädagogische Theoriedebatte bis Anfang der 90er Jahre.

[60]     Der Begriff Ökopädagogik wird von den meisten Kritikern in einem sehr weiten Verständnis gebraucht, oft als Oberbegriff über ein meist nicht genauer definiertes Spektrum von umweltpädagogischen Ansätzen. Später übernahmen zunehmend die Begriffe Umweltbildung und Umweltpädagogik diese Funktion.

[61]     Bernhard baut seine Kritik zu einem materialistischen, bildungstheoretischen Ansatz aus (vgl. z. B. 1987, 1990, 1995a u.1995b), auf den in 2.7.3 noch eingegangen wird.

[62]     Verstanden als Kritik an der Einseitigkeit individualisierender, psychologisierender Alltags- und Bedürfnisorientierungen, die primär im Bereich des Ökologischen Lernens zu finden waren, stimmt die Kritik partiell mit der von Seiten der Ökopädagogik überein. Eine differenzierende Gegenkritik zu Bernhard hatte ich damals unter der Zwischenüberschrift Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten veröffentlicht (in: Becker 1986a, S. 61-62).

[63]     In der Tat gab es damals Positionen, die aus einer abstrakten Grundsatzkritik an Technologie, Wissenschaft, Industriegesellschaft und ihrem Bildungssystem allzu kurzschlüssige pädagogische Konsequenzen zog, etwa in Form einer Ablehnung von allen Ansätzen, die in irgend einem Sinne funktional für die genannten Bereiche oder die Industriegesellschaft insgesamt sein könnten. Mertens identifiziert in grober Vereinfachung die Ökopädagogik mit solchen eindimensionalen und daher fragwürdigen Positionen oder interpretiert mißverständliche Formulierungen in diesem Sinne (Mertens 1989, S. 179f). Zur eigenen Position von Mertens s. auch Fußnote 66 und 2.7.2.

[64]     Hard legt als umweltpädagogische Literatur nur Beer/de Haan (1984) zugrunde, dennoch trifft seine Kritik fast die ganze umweltpädagogische Literatur.

[65]     „Kognitiv bedeutet das z. B.: Gerade die Nicht-Einheit, die Empirie- und Gesellschaftsferne, die Risse, den Plural, die Ungereimtheit und das Paradoxe, die Ambivalenz und die Propagandistik, ja, den latenten Terror in den auf Einheit und Ganzheit hin angelegten Begriffen exponieren – Von ‚Natur‘ und ‚Ökologie‘, ‚Person‘ und ‚Gewissen‘“ (Hard 1989, S. 206) „Kurz: Die beschriebene Neigung zu Entdifferenzierungen und Ganzheiten tendiert dazu, auf politisch-pädagogischer Ebene Zwang, in kognitiver und ästhetischer Hinsicht Kitsch zu produzieren“ (Hard 1989, S. 207).

[66]     Mertens begründet seinen Vorschlag, den er als konstruktive Vermittlung zwischen Ökopädagogikund Umwelterziehung versteht (s. auch Mertens 1990), mit der Behauptung, daß Umwelterziehung in ihrer jetzigen Gestalt bereits Ökopädagogik sei – wobei er bewußt ein vollständig anderes Begriffsverständnis unterlegt. Die Stärke der Umwelterziehung sieht Mertens gerade darin, daß sie „bewußt unter den Rahmenbedingungen des Industriesystems konzipiert“ wurde. Allerdings müßte die Problemstellung der Umwelterziehung ausgeweitet werden: „Welche humanen Ausdrucksgestalten verantwortlichen Naturumgangs sind erzieherisch zu vermitteln, kraft deren der Mensch der Industriegesellschaft einen sinnhaft-glückenden Daseinsvollzug in Ansehung des Eigenwertes der Natur begründet?“ (Mertens 1989, S. 180). Als konzeptionelle Fortentwicklung legt Mertens später einen humanökologischen fundierten Ansatz von Bildung und Pädagogik allgemein und Umweltbildung im besonderen vor (Mertens 1997 u. 1998, s. auch 2.7.2).

[67]     Solche Tendenzen haben bei de Haan, der maßgeblich den Begriff Ökopädagogik geprägt hat, dazu geführt, diesen Begriff aufzugeben (de Haan 1993, Fußnote 2). Siebert (1995) hält dagegen in einem konstruktivistischen Argumentationskontext an der reflexiven Ökopädagogik fest.

[68]     Auch Heids Kritik an dem umweltpädagogischen Ansatz an der „Betroffenheit“ und an der instrumentalisierenden Formulierung von Verhaltensweisen als direkte pädagogische Ziele entspricht wiederum ökopädagogischem Denken.

[69]     Vgl. in dem Zusammenhang die Frage der gesellschaftlichen Konstitution und Konstruktion von Natur(wissenschaft) in Kapitel 4, insbesondere den dort vorgestellten Ansatz der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (4.1) und meine Position aus dem Jahre 1986 in 2.4.

[70]     In 2.5 wird es zusätzlich um natur- oder ökologiebezogene Bildungsansätze gehen, die eher außerhalb der Umweltbildung im erziehungswissenschaftlichen bzw. bildungstheoretischen Bereich entstanden sind.

[71]     Vor allem werden Kern und Wittig (1982) (s. 2.5.1) und der Lernbericht des Club of Rome (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979) (s. 2.2.1) kritisiert.

[72]     Dieser Vermittlungsgedanke steht durchaus dem späteren Ansatz der Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung nahe.

[73]     Dieser Mangel stammt aus der zugrundegelegten, sich auf Habermas stützende Version einer Kritischen Pädagogik, die – wie die traditionell sozialistische Theorie – von der Vorstellung der Befreiung des Menschen durch vernünftige instrumentelle Beherrschung der äußeren Natur ausgeht. Die genannten anderen Vertreter der Kritischen Theorie wurden in der emanzipatorischen Pädagogik weit weniger rezipiert.

[74]     Warum dies naturalistisch als allseitige und als umfassende Ökologisierung des Lernprozesses bezeichnet wird, ist unklar, zumal explizit reformpädagogische Motive einfließen. Der Gedanke der Charakterisierung eines pädagogischen Konzepts durch Polaritäten findet sich auch bei Salzmann, der mit Hilfe seines wesentlich umfassenderen Polaritäten(profil)modells sein reformpädagogisch fundiertes Konzept des Regionalen Lernens (und der Umwelterziehung) definiert (Salzmann 1995d). Bei Salzmann liegt allerdings ein anderes Verständnis von Umwelterziehung zugrunde (s. auch Meyer, C. 1996, S. 29-50 und 2.8.3).

[75]     Diese Vermutung speist sich aus einem Überblick über Beispiele, die in der Literatur dokumentiert sind; eine systematische Auswertung wurde nicht übernommen.

[76]     Es handelt sich um die erste von vier Thesen zur Ökopädagogik de Haans.

[77]     An der Basis der Partei der Grünen und in ihrem pädagogischen Umfeld gab es damals auf regionaler und Landesebene etliche Überlegungen, Konzeptentwürfe und Tagungen zu einem neuen, grün-alternativen oder ökologischen Bildungsverständnis, deren Ergebnisse jedoch nicht in öffentlich zugänglichen Publikationen verbreitet wurden und die in der weiteren Entwicklung offenbar ihre Bedeutung verloren.

[78]     Beispiel ist die gleichnamige Auftakttagung Zukunftsaufgabe Umweltbildung in Niedersachsen im Jahre 1988, das vom dortigen, damals neu eingerichteten Umweltministerium organisiert wurde. Später folgte ein breit angelegtes Programm für den Schulbereich (vgl. Niedersächsisches. Kultusministerium 1993).