Was ist
ein „Schlüsselproblem"? Anmerkungen
zu Wolfgang Klafkis „neuem Allgemeinbildungskonzept" von Hermann
Giesecke (in: Neue Sammlung 4/97, S. 563ff
(mit einigen Links zum Klafki-Text über Allgemeinbildung) Wolfgang Klafkis Überlegungen zur
Bildungstheorie und Didaktik haben seit Ende der fünfziger Jahre die
bildungspolitische und schulpädagogische Diskussion und nicht zuletzt
auch die Schulreformen seit den siebziger Jahren in einem erheblichen Maße
mitbestimmt. Klafki hat über die Jahrzehnte seine Überlegungen immer
wieder modifiziert und z. B. neue wissenschaftstheoretische und
einzelwissenschaftliche Erkenntnisse und Resultate einbezogen und im
Rahmen seines Konzeptes verarbeitet. Als ein Ergebnis dieses Prozesses
verstehe ich auch seine Neuformulierung der Allgemeinbildungstheorie, wie
er sie in der „2. Studie" seines Buches „Neue Studien zur
Bildungstheorie und Didaktik" (Weinheim, 5. Aufl. 1996) vorgetragen
hat. Daran möchte ich im folgenden anknüpfen. Dieses Konzept hat in der
Schulpädagogik und Bildungspolitik eine erhebliche Zustimmung gefunden
und gilt vielfach als mehr oder weniger selbstverständliche Grundlage für
entsprechende Entscheidungen. Es hat jedoch eine Reihe problematischer
Implikationen, die ich im folgenden kennzeichnen und kritisieren möchte.
Der gewiß notwendig gewordene Versuch, die Idee der Allgemeinbildung
wieder zu einem zentralen Thema der fachlichen und öffentlichen
Diskussion zu machen, hat nämlich nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn
dabei ein breiter innenpolitischer Konsens erzielt werden kann. Das
Allgemeine an der Bildung muß auch allgemein akzeptiert werden können.
Eben dies vermag Klafkis Entwurf jedoch nicht zu leisten; er ist vielmehr
vor allem wegen seiner politischen Implikationen eher einem bestimmten
bildungspolitischen Lager zuzurechnen. Politische Implikationen Klafkis Argumentation beginnt mit einem Rückgriff auf die Idee der Aufklärung, die es verbiete, Bildung unkritisch am technisch-ökonomisch bedingten Fortschrittsoptimismus festzumachen. Vielmehr gehe es um „die Einsicht in den dialektischen Zusammenhang zwischen den personalen Grundrechten ... und der Leitvorstellung einer fundamental-demokratisch gestalteten Gesellschaft, einer konsequent freiheitlichen und sozialen Demokratie" (S. 51). Diesem Satz wird kaum jemand widersprechen - solange er jedenfalls nicht präzisiert wird. Erste Bedenken stellen sich aber ein, wenn man etwa daran denkt, daß z. B. die katholische Kirche als Teilverband der Gesellschaft nicht „fundamental-demokratisch" strukturiert ist, daß sie nicht daran denkt, sich entsprechend zu ändern und dass sie gemäß unserer Verfassung auch so bleiben darf, wie sie ist. Das
Beispiel verweist generell auf die bekannte Tatsache, daß die Grundrechte
sich auf das Verhältnis des Individuums zum Staat und seinen Organen
beziehen, nicht jedoch auch in gleicher Weise auf gesellschaftliche Verbände
und Organisationen, zumal nicht auf jene, denen - wie der katholischen
Kirche - niemand zwangsweise angehören muß. Als ein weiteres Beispiel in
diesem Zusammenhang kann der „Tendenzbetrieb" gelten, der - anders
als etwa der öffentliche Dienst - besondere Anforderungen an die Lebensführung
seiner Mitarbeiter stellen darf. Nun ist den Mitgliedern einer solchen
Organisation selbstverständlich unbenommen, in ihren Reihen auf eine
Fundamentaldemokratisierung zu drängen, und der allgemeinbildende
Unterricht kann in didaktisch geeigneter Weise die innere Struktur solcher
Organisationen zum Thema machen, aber darum geht es hier nicht. Vielmehr
soll der Einsatz für die so verstandene Demokratisierung nicht nur des
Staates, sondern auch der gesellschaftlichen Teilverbände
(„Fundamentaldemokratisierung") von vornherein das
Allgemeinbildungskonzept mit konstituieren. Das geht deshalb zu weit, weil
auf diese Weise das Arrangement von Bildung mit einer strategischen
politischen Handlungsanweisung gekoppelt wird, die nach den Grundlagen
unserer Verfassung zwar möglich, aber keineswegs geboten ist, und über
die deshalb die Bürger nur je einzeln für sich entscheiden können.
Klafkis politische Prämisse ist nun keineswegs als allgemeine Präambel
gemeint, vielmehr setzt sie sich in den folgenden Überlegungen fort. „Grundfähigkeiten" Obwohl
nicht ausdrücklich so begründet, leitet Klafki daraus nämlich drei
„Grundfähigkeiten" ab, die „Bildung" vermitteln soll: die
„Fähigkeit zur Selbstbestimmung", die „Mitbestimmungsfähigkeit"
und die „Solidaritätsfähigkeit" (S.
52). Der individuelle
Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung könne - so die Begründung -
„nur gerechtfertigt werden", „wenn er nicht nur mit der
Anerkennung, sondern mit dem Einsatz für diejenigen und mit dem
Zusammenschluß mit ihnen verbunden ist, denen eben solche Selbst- und
Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse,
Unterprivilegierung, politischer Einschränkungen oder Unterdrückungen
vorenthalten oder begrenzt werden" (S. 52). Dies ist wiederum eine politisch
parteiliche Argumentation, mag sie moralisch auch zunächst überzeugend
sein. Der Anspruch auf Selbst- und Mitbestimmung ergibt sich politisch aus
unserem Grundgesetz und muß (und darf) deshalb keineswegs mit etwas
anderem gerechtfertigt werden, als verspiele jemand diese Rechte, wenn er
dieses andere nicht verfolge. Die beiden erstgenannten Fähigkeiten können
zwar durchaus als solche betrachtet werden, die der Staat in seinem
Bildungswesen gemäß der Verfassung zu ermöglichen hat; das gilt für
die „Solidaritätsfähigkeit", wie sie von Klafki verstanden wird,
aber keineswegs auch. Sie geht nämlich als allgemeines moralisches
Postulat, wie es hier formuliert ist, weit über den Rahmen unserer
Verfassung hinaus; denn „politische Einschränkungen oder Unterdrückungen"
sind - jedenfalls auf der politischverfassungsrechtlichen Ebene - bei uns
nicht mehr gegeben, also muß dies weltweit gemeint sein. Als Bürger unseres Staates können
wir aber nur Einfluß nehmen auf den Handlungsrahmen, den uns unsere
Verfassung eröffnet, darüber hinaus haben wir - außer vielleicht durch
Druck auf bestimmte außenpolitische Entscheidungen - keine Einflußmöglichkeit,
- wenn man davon absieht, daß unsere politische Mitwirkung sich demnächst
vielleicht auf Europa ausdehnen wird; aber auch dann würde unsere
Verantwortungsreichweite sich lediglich vergrößern, aber grundsätzlich
weiterhin beschränkt bleiben. Wegen dieses Widerspruchs von Anspruch und
Wirklichkeit handelt es sich bei Klafkis „Solidarität" um ein bloß
moralisches Postulat, was sofort einleuchtet, wenn man sich überlegt, was
Schulkinder faktisch durch „Einsatz" zur Minderung der Unterdrückung
von Kindern beispielsweise in Ländern der Dritten Welt beitragen können
außer moralisch zu räsonnieren und vielleicht sogar Überheblichkeitsgefühle
zu entwickeln. Selbstverständlich kann dieses Problem zum Thema etwa der
politischen Bildung in den Schulen werden, und Jugendliche können sich z.
B. im Rahmen von Jugendorganisationen freiwillig für entsprechende
Aufgaben engagieren, aber das allein ist ja nicht gemeint; es geht Klafki
um „Zusammenschluß" mit und „Einsatz" für tendenziell alle
Unterdrückten dieser Welt. Beides darf man jedoch gerade als Gebildeter
sowohl aus politischen wie aus praktischen Gründen - z. B. wegen zu
geringer Erfolgsaussichten - auch verweigern. Abgesehen davon also, daß
eine derart exzessiv gedachte „Solidarität" schlicht illusorisch
ist, wenn sie in dieser Form und in diesem Ausmaß als eine „Grundfähigkeit"
von Bildung gelten soll, wird hier eine Fähigkeit mit einer bestimmten
Anwendung gleichgesetzt. Es kann nämlich jemand durchaus fähig zur
Solidarität sein, sich aber aus vielerlei Gründen jeweils vorbehalten,
wem er sie aus welchen Gründen, unter welchen Bedingungen und für wie
lange gewährt. Die Fähigkeit als solche verrät noch nichts über die
Bedingungen ihrer Anwendung. Soll „Solidarität" mehr sein als ein
unverbindliches moralisches Postulat, dann hängt ihre Anwendung von einer
prinzipiellen Gegenseitigkeit ab und entspringt keineswegs einem
einseitigen Wohltätigkeitsverhalten. Die Arbeiterbewegung, die den
Begriff populär gemacht hat, verwandte ihn gegenüber allen, die der
gleichen Klassenlage angehörten, aber eben nicht - oder jedenfalls nicht
so ohne weiteres - gegenüber Mitgliedern anderer ökonomischer Klassen.
Nur so, nämlich in dieser Beschränkung, war dieser Begriff als soziale
Kategorie überhaupt anwendbar. In diesem Sinne können Individuen nicht
einfach anderen Individuen Solidarität erweisen, vielmehr sind sie dafür
auf verfaßte soziale Strukturen angewiesen, die zugleich eine
prinzipielle Gegenseitigkeit garantieren. Deutsche Gewerkschaften können
gemeinsam mit denen eines Entwicklungslandes solidarisch handeln, nicht
aber die einzelnen Mitglieder. Auf den einzelnen muß aber der
Bildungsbegriff abheben, da „Bildung" nur die Fähigkeiten je
einzelner Menschen sinnvollerweise bezeichnen kann. Abgesehen
davon stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise ein
Allgemeinbildungskonzept, das im Grunde ja immer auf Vermittlung von
Stoffen, jedenfalls auf geistig geordnete Auseinandersetzung mit der Welt
aus ist, solche grundlegenden Fähigkeiten überhaupt planmäßig zu
entwickeln vermag. Woran soll
man „Selbstbestimmungsfähigkeit" und „Mitbestimmungsfähigkeit"
in der Schule erkennen, ohne dabei kaum überprüfbaren Interpretationen
auf den Leim zu gehen? Andere Fähigkeiten, etwa ein Thema sorgfältig zu
recherchieren oder seine Gedanken argumentativ einzubringen, kann man
immerhin am beobachtbaren Resultat ablesen. Der Unterricht selbst
jedenfalls kann nur solche Fähigkeiten entwickeln, die in seinem Rahmen
auch gebraucht werden. Hinzu kommen kann die Gestaltung des sozialen
Arrangements, etwa Stil und Ton des Umgangs zwischen Lehrern und Schülern
und der Schüler untereinander; aber auch diese Möglichkeiten sind
begrenzt. „Solidarität" kann man in der Schule nur für deren
sozialen Kontext lernen, inwieweit jedoch die dabei gewonnenen
Grundhaltungen auf außerschulische, z. B. politische Dimensionen übertragen
werden können, bleibt grundsätzlich wie auch in jedem Einzelfall
unentscheidbar und deshalb auch nicht planbar. Das gilt auch für die Fähigkeit
zur „Mitbestimmung"; in der Schule kann sie nur in dem Rahmen
gelernt werden, der dort zur Verfügung steht, und der ist in der Regel
sehr begrenzt. Die Schule ist (auch) in diesem Punkte kein Exempel für
das soziale Leben überhaupt, sondern gerade eine vom üblichen Leben
abgehobene Einrichtung, in der zunächst einmal besondere Regeln gelten,
die im Zweck dieser Institution und ihres darauf bezogenen Arrangements
beschlossen liegen und insoweit eben auch partikular sind. Die Fähigkeit
zur Mitbestimmung in einem politisch relevanten Sinn des Wortes kann der
Schüler vermutlich eher durch Mitwirkung in einem Jugendverband lernen.
Die von Klafki genannten „Grundfähigkeiten" sind im Grunde
erzieherische Instrumentalisierungen und Rechtfertigungen, die dem
Bildungsanliegen vorgegeben werden, mit diesem selbst aber nichts zu tun
haben. Die Beziehungen zwischen veranstaltbarer Bildung welcher Art auch
immer und den daraus hervorgehenden allgemeinen persönlichen und
charakterlichen Resultaten beruhen generell und erst recht im Einzelfall
auf Spekulation. Wird das übersehen, droht dem allgemeinbildenden
Unterricht eine gesinnungsorientierte Instrumentalisierung. „Bildung für alle" In
einem weiteren Schritt entwickelt Klafki nun „drei Bedeutungselemente
des Begriffs ,Allgemeinbildung", nicht ohne einleitend erneut eine
politische Distanzierung vorzunehmen, indem er auf „problematische
konservative Leitvorstellungen" (S.
52) verweist, die er ohne weitere Begründung - etwa im Hinblick auf sein Konzept - und lediglich unter
Hinweis auf einige Autoren und deren Publikationen zurückweist.
Allgemeinbildung muß demnach
Das
erste, an und für sich wieder einleuchtende und gewiß konsensfähige
Merkmal - „Bildung für alle" - wird nun mit Einzelforderungen
belastet, die wohl nur aus der politischen Grundposition des Autors erklärbar
sind. Der „Abbau selektiver Faktoren" und „entschiedener
Widerspruch gegen den Einbau neuer Selektionselemente" seien zu
fordern, ebenso „Ausdehnung und Intensivierung gemeinsamer
Bildungseinrichtungen" - gemeinsam für alle Kinder -, „Ausbau der
vierjährigen zur sechsjährigen Grundschule" sowie „Einsatz für
die Integrierte Gesamtschule auf der Sekundarstufe I bis zum 16.
Lebensjahr" (S. 55). Nun hat der Bürger Wolfgang Klafki selbstverständlich
das Recht, sich gemäß seinem Demokratieverständnis für diese
schulpolitischen Grundsätze öffentlich einzusetzen. Mißlich ist nur, daß
dies im Rahmen eines Plädoyers für eine neue Allgemeinbildung geschieht.
Dann muß nämlich entgegnet werden, daß unter dem Maßstab der
Selbstbestimmung jemand auch das Recht hat, sein Bildungsbedürfnis von
einem bestimmten Niveau an als befriedigt zu betrachten; daß ein anderer
unter eben dieser Maxime verlangen darf, optimal im Rahmen gleich Begabter
gefördert zu werden und nicht über Gebühr in einer heterogenen
Zwangslerngemeinschaft verweilen zu müssen. Aus dem an sich richtigen
Postulat nach „Bildung für alle" kann nur gefolgert werden, daß
jedem Kind als Grundrechtsträger ohne Rücksicht auf finanzielle
Voraussetzungen, u. U. sogar gegen den Willen seiner
Erziehungsberechtigten, die Chance gegeben werden muß, den
Bildungsstandard zu erreichen, der seinen Fähigkeiten bzw. seinem
Lernwillen entspricht. In welcher Form der Schulorganisation dies
geschieht, ist daran gemessen eine eher technische Frage, jedenfalls keine
einer vorgängigen demokratischen Legitimation, als seien diejenigen, die
die Grundschule nicht erweitern oder die Gesamtschule nicht ausdehnen
wollen, per se weniger demokratisch Gesinnte. „Selektion" ist zudem
nicht ohne weiteres ein Widerspruch zur „Bildung für alle",
sondern nur dann, wenn sie bestimmte Gruppen von Kindern aus anderen Gründen
als denen ihrer Leistungsfähigkeit aus dem Bildungsprozeß vorzeitig
aussondert; damit dies möglichst nicht geschieht, müssen zur Förderung
benachteiligter Kinder geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit sie
selbst wie auch die für sie zuständigen Erwachsenen ein realistisches
Bild der tatsächlichen Leistungsfähigkeit gewinnen können. Aber das
kann nicht mit dem Versprechen verbunden sein, ohne entsprechende
Leistungen zu höheren Bildungsstufen gelangen zu können. Ist Selektion
jedoch in vernünftigen Stufen der Leistung verankert, ist sie sogar im
wohlverstandenen Interesse des Kindes selbst geboten, weil es sonst nämlich
seine schulische bzw. unterrichtliche Leistungsfähigkeit nicht
realistisch wahrnehmen und seine Zukunftsplanung nicht
wirklichkeitsgerecht vornehmen könnte. In diesem Punkte wäre dann wieder
das Selbstbestimmungsrecht des Kindes heranzuziehen. „Schlüsselprobleme" Das Kanonproblem („Bildung im Medium
des Allgemeinen") löst Klafki nun auf eine Weise, die sich vom
traditionellen Lösungsversuch, nämlich einen Kanon von Fächern zu
nennen und die darin beschlossenen Bildungsgehalte zu analysieren,
grundlegend unterscheidet. Er präsentiert statt dessen einen
Katalog von „Schlüsselproblemen", an denen die Schulfächer
gemeinsam zu arbeiten haben. „Allgemeinbildung bedeutet ..., ein
geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der
Gegenwart und - soweit voraussehbar - der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in
die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und
Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken. Abkürzend kann man von
der Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme unserer Gegenwart
und der vermutlichen Zukunft sprechen" (S. 56). Er nennt - ohne
Anspruch auf Vollständigkeit - die Friedensfrage, die Umweltfrage, die
gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, „die Gefahren und die Möglichkeiten
der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und
Kommunikationsmedien" und schließlich „die Subjektivität des
einzelnen und das Phänomen der Ich-Du-Beziehung", nämlich „die
Spannung zwischen individuellem Glücksanspruch, zwischenmenschlicher
Verantwortung und der Anerkennung des bzw. der anderen" (S.
60). Man darf diese „Schlüsselprobleme"
wohl als das Kernstück des Entwurfs bezeichnen, wobei Klafki betont, daß
seine knappe Skizzierung dieser Probleme sowie auch deren Auswahl
keineswegs das letzte Wort in der Sache sein müßten. Meine kritischen Rückfragen
sollen sich deshalb auch auf das Prinzip beziehen und nicht auf die
Einzelheiten, die Klafki zur Veranschaulichung seines Vorschlags
ausbreitet. 1. Zunächst wird hier wieder, wie bei
der „Solidarität", Erkenntnis mit Appellation verbunden: Die Schüler
sollen „Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher
Probleme" und „Bereitschaft, an ihrer Bewältigung
mitzuwirken" gewinnen. Gewiß ist das wünschenswert, die Frage ist
nur, ob solche Intentionen von vornherein Bestandteil eines
Allgemeinbildungskonzeptes sein können. Daß alle in irgendeiner Weise
teils für die Entstehung, teils für die Aufrechterhaltung solcher
„Probleme" (z. B. Umwelt) und deshalb auch für deren Lösung
verantwortlich sind, ist sicher nicht zu leugnen; gleichwohl sind je nach
Alter und gesellschaftlichem Status die Verantwortlichkeiten sehr
unterschiedlich zu gewichten. Und die Bereitschaft, an der „Bewältigung"
mitzuwirken, ist einerseits nicht zuverlässig zu messen und kann
andererseits bei Schülern zu kaum mehr als zum moralischen Protest führen.
Warum sollte der Unterricht sich nicht einfach darauf beschränken, die
Probleme ins Bewußtsein zu nehmen und sachlich möglichst fundiert zu klären?
Eine Garantie für ein darauf bezogenes vernünftiges und moralisches
Verhalten ist das gewiß nicht, aber ist mehr im beschränkten
Handlungsrahmen des schulischen Unterrichts überhaupt möglich? 2. Spätestens an dieser Stelle muß
geklärt werden, welche Rolle in diesem neuen Bildungskonzept eigentlich
die Schule spielen soll; denn über die erwähnten epochalen Probleme
werden wir ja nicht nur durch die Schule, sondern jeden Tag immer wieder
neu durch die Berichterstattung der Massenmedien informiert. Genau
genommen erfahren wir nur über diese Medien, welche „Schlüsselprobleme"
durch wen definiert werden, wie die daraus resultierenden Konflikte und
Widersprüche sich aktualisiert oder auch wieder verflüchtigt haben,
durch neue abgelöst wurden usw. Demnach müßte es Aufgabe der Schule
sein, die Schüler fähig zu machen, an dieser Berichterstattung vernünftig
partizipieren zu können. Dann aber wäre der Auftrag der Allgemeinbildung
anders zu formulieren, nämlich als Schulung der Fähigkeit, die
Informations- und Meinungsbildung dieser Medien optimal zu nutzen. In
diesem Falle stünden aber nicht die „Schlüsselprobleme" selbst im
Mittelpunkt der Allgemeinbildung, sondern die Verarbeitungs- und
Verbreitungsweisen der Medien, zusammengefaßt vielleicht in einer Art von
„Medienkunde" in Analogie zum überlieferten Literaturunterricht.
Zwar könnten dann „Schlüsselprobleme" als Beispiel oder Aufhänger
eines solchen Unterrichts gewählt werden, aber systematisch ginge es in
erster Linie nicht um sie, sondern eben um einen bestimmten
Fachunterricht. Aber welches Fach soll für eine „kritische
informations- und kommunikationstechnische Grundbildung als Moment einer
neuen Allgemeinbildung" (S.
60) zuständig sein, wenn oberflächliches
kulturkritisches Räsonnieren vermieden werden soll? Anders gefragt: Ist
die moderne Kommunikationstechnologie als Stoff eines bestimmten Faches zu
verstehen oder eher als Implikation eines jeden Schulfaches, oder gehören
entsprechende Kenntnisse zu den kulturtechnischen Grundlagen wie Lesen und
Schreiben, die möglichst jeder Schüler beherrschen lernen sollte? Dem Konzept Klafkis fehlt jedenfalls
eine deutliche Unterscheidung zwischen dem, was das Leben sowieso lehrt,
und dem, was die Schule im Hinblick auf die Teilnahme an diesem gegenwärtigen
und künftigen außerschulischen Leben als ihre Aufgabe unter der Fahne
der Allgemeinbildung ansehen soll. Man könnte ja das Konzept der
Allgemeinbildung auch im Sinne eines idealen Entwurfes des gebildeten
Menschen verstehen, an dessen Entfaltung die Schule nur mit einem
bestimmten und begrenzten Auftrag mitwirkt, während andere
gesellschaftliche Wirklichkeitsbereiche wie Politik, Wirtschaft, Kultur
und Massenmedien ebenfalls ihren Teil dazu beitragen. Eine solche
Vorstellung wäre schulübergreifend, nämlich sozialisationstheoretisch
fundiert. Wenn ich Klafki aber richtig verstehe, ordnet er seine
Konzeption der Allgemeinbildung lediglich der allgemeinbildenden Schule
zu; dann aber bleibt zumindest die Frage offen, in welcher Beziehung
dieses Konzept zur außerschulischen Erfahrung der Schüler zu sehen ist. 3. Offensichtlich liegen die „Schlüsselprobleme"
auf unterschiedlichen sachlichen Ebenen. Während die ersten drei
(Friedensfrage, Umweltfrage, soziale Ungleichheit) globale politische
Probleme bezeichnen, stellt sich die Medienfrage als ein merkwürdiger
Zwitter dar: einerseits als politisches Phänomen, insofern etwa
Meinungsmacht und ihre öffentliche Kontrolle angesprochen sind;
andererseits geht es um die eben erwähnte kulturtechnische Dimension der
optimalen Nutzung. Eine gänzlich andere Seite klingt beim letzten „Schlüsselproblem"
an. Hier steht die unmittelbare menschliche Beziehungsebene zur Debatte,
also ein primär normatives Problem, das gewiß auch politisch bedingt
ist, aber doch im Kern die Alltagsmoral der Menschen zum Inhalt hat. Schon
immer war diese vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fächern ein
bevorzugtes Thema des allgemeinbildenden Unterrichts, vermittelt über
einschlägige Stoffe und Texte. Damit verband sich die Hoffnung, daß
die Beschäftigung etwa mit bedeutender Literatur oder mit den Grundsätzen
des christlichen Glaubens mittelbar auch die persönlichen Einstellungen
und Handlungsmaximen der Schüler beeinflussen würden. Insofern war die
menschliche Beziehungsdimension immer auch ein fächerübergreifendes
Thema der Allgemeinbildung, eingebettet jedoch in die übergeordneten
Aufgaben und Gesichtspunkte des jeweiligen Fachunterrichts. Allerdings
wurden die „Regeln des Lebens" (Korczak) im wesentlichen außerhalb
der Schule im Rahmen der familiären, nachbarschaftlichen und kirchlichen
Sozialisation gelernt. Mir ist nicht klar geworden, ob Klafki es bei
dieser mittelbaren Thematisierung belassen will oder ob er die
Beziehungsdimension und die damit verbundene Moralität nun unmittelbar
zum Gegenstand des Unterrichts machen will. In diesem Falle wäre darauf
hinzuweisen, daß die Schule für eine solche direkte Intervention
keinerlei Legitimation mehr hat, da ihr dafür weder ein kollektives
Milieu mehr als Umfeld zur Verfügung steht, noch der Staat als Bezugsgröße
gewählt werden kann, weil dieser diesseits der Legalität alle normativen
Entscheidungen, auch für minderjährige Schüler, freigegeben hat.
Deshalb wäre die Beziehungsebene nur in weltanschaulicher Einseitigkeit
im Unterricht zu behandeln, wenn die disziplinierende Sachbezogenheit der
Fächer unterlaufen würde. 4. Im Grunde wird zumindest bei den
ersten drei „Schlüsselproblemen" eine didaktische Konstruktion,
die für ein bestimmtes Fach, nämlich die politische Bildung, entwickelt
wurde, auf den gesamten Fächerzusammenhang übertragen und somit
verallgemeinert. Für die politische Bildung in der Schule war es aber von
Anfang an ein Problem, wie man die aktuellen politischen Kontroversen, in
denen sich ja in der Regel darüber hinausgehende strukturelle politische
Konflikte verbergen, für den Schulunterricht didaktisch derart
rekonstruieren könne, daß einerseits diese Aktualität zum Ausgang
genommen, andererseits aber auch allgemeine, also auf neue Konfliktfälle
zu übertragende Einsichten dabei gewonnen werden könnten; das waren die
Ansätze der sogenannten „Konfliktdidaktik". Im Zusammenhang
solcher Überlegungen entstand die Idee, umgekehrt nach grundlegenden
Problemen und Konflikten zu suchen - vergleichbar den „Schlüsselproblemen"
-, die nun unabhängig von der politischen Aktualität, auf die der
Unterricht ja nicht immer warten kann, systematisch behandelt werden könnten,
wobei die jeweilige Aktualität allenfalls als Einstieg oder Aufhänger zu
benutzen wäre. Die Lösung dieses Problems erwies sich jedoch als
ungemein schwierig, wenn man parteiliche Einseitigkeiten oder bloß
moralisierende Kurzschlüsse vermeiden wollte. Die sachlichen
Schwierigkeiten ergeben sich vor allem daraus, daß das, was ein scheinbar
klares „Schlüsselproblem" zu sein scheint - wie etwa das Problem
des Friedens -, in Wahrheit sich als ungemein komplexer und sich ständig
verändernder Sachverhalt darstellt, und zwar um so mehr, je präziser die
didaktische Analyse wird und je mehr z. B. wegen der Verständnisfähigkeit
der Schüler verdichtet und somit eben auch aus der Komplexität
gestrichen werden muß. Zudem setzt ein derart strukturierter Unterricht
eine besonders hohe fachliche Kompetenz des Lehrers voraus, der ja diese
Komplexität selbst erst einmal begriffen haben muß, um sie dann vernünftig
didaktisch reduzieren zu können.[1]
In der Praxis hat sich schnell
gezeigt, daß von diesem Ansatz oft nur moralisierende Vereinfachungen
übrig blieben. 5. Wegen dieser Schwierigkeiten schon
für das Fach, das der Sache nach dafür am ehesten zuständig wäre, muß
als ausgeschlossen erscheinen, die von Klafki skizzierten „Schlüsselprobleme"
- oder auch andere dieser Art - als Grundlage einer neuen Allgemeinbildung
zu definieren, deren Aufklärung alle Fächer zu ihrer Aufgabe machen
sollen. Dafür sind diese Probleme ihrer Natur nach zu unscharf gegeben,
und jeder Versuch, sie für den Unterricht didaktisch zu präzisieren, wäre
willkürlich und allenfalls nur assoziativ möglich. Die von einem solchen
Verfahren erhoffte Integration der Vorstellungen - die Schüler wissen
jederzeit, an welchem Problem sie arbeiten, gleichgültig, in welchem Fach
sie gerade unterrichtet werden - ist eine Illusion; herauskommen könnten
vielmehr nur additiv aneinandergereihte Stoffinseln. Die Lehrer
andererseits müßten nicht nur ihr Fach beherrschen, sondern zugleich
auch noch genügend Sachverstand für die politische Komplexität der
fraglichen „Schlüsselprobleme" aufbringen - normalerweise eine
glatte Überforderung. Diese Probleme lassen sich ohne erheblichen
Wirklichkeitsverlust didaktisch nicht komprimieren. Wendet man sich jedoch
lediglich daraus abgeleiteten Teilthemen zu, die vielleicht fachspezifisch
zu bearbeiten wären, dann wird der Kontext zum übergeordneten Problem
wiederum zufällig und willkürlich. 6. Die „Schlüsselprobleme"
sind in ihrem Kern ein politisches Phänomen, d. h. sie sind nicht einfach
gegeben, sondern beruhen auf einer interessenbedingten Definition. Es gibt
kein soziales oder politisches „Problem", es sei denn, jemand
definiert es entsprechend mit Aussicht auf öffentliche Aufmerksamkeit.
Solange z. B. niemand die Benachteiligung von Frauen im öffentlichen
Leben problematisierte, war sie zwar eine Tatsache, aber für niemanden im
politischen Sinne ein Problem. Weil das so ist, ist die Bestimmung von
„Schlüsselproblemen", also solchen, die als gleichsam
exemplarische Kernprobleme weiterer Detailprobleme angesehen werden können,
jedenfalls nicht so zuverlässig möglich, wie es für einen über Jahre
verlaufenden schulischen Bildungsgang notwendig wäre. Das lehren uns
schon die mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entstandenen neuen
Problemlandschaften, von denen wir vor dem Fall der Mauer kaum etwas
geahnt haben. Die „Schlüsselprobleme" sind kein Stoff, der sich
didaktisch zweckmäßig reduzieren ließe. Entsprechend ihrem
Definitionscharakter erwachsen sie vielmehr aus dem politischen Handeln
und seinen Begründungen selbst. Ein erheblicher Teil des politischen
Argumentierens besteht bekanntlich darin, die jeweils eigene
Problemdefinition ins politische Spiel und in die öffentliche Meinung zu
bringen. 7. Weil das so ist, gibt es für die
Formulierung solcher Schlüsselprobleme in jener Erweiterung, die Klafki
über den politischen Unterricht hinaus vornimmt, keine besondere
fachwissenschaftliche und somit auch keine fachdidaktische Kompetenz mehr,
welche die notwendigen und komplizierten Sachdefinitionen geistig
disziplinieren, sachlich fundieren und somit auch öffentlich vertreten könnte.
Deshalb wäre eine willkürliche oder
sogar weltanschaulich aufdringliche didaktische Konstruktion der daraus
abgeleiteten Themen und ihrer Interpretation Tür und Tor geöffnet. Ich
schließe mit dieser Skepsis nicht aus, daß es sinnvoll sein könnte,
zumindest teilweise die Schulfächer an übergreifenden Themen und Stoffen
zu orientieren; sollen aber die eben erwähnten Gefahren vermieden werden,
dann muß dabei die innere Logik der Fachstruktur gewahrt bleiben können.
Von sich aus fächerübergreifend sind Handlungsstrategien und die ihnen
entsprechenden Bewußtseinsstrukturen bis hin zur ideologischen Verhärtung,
aber die Aufklärung dieser Phänomene ist immer an begrenzte fachliche
Perspektiven gebunden, schon weil sonst die Schüler ihr Wissen nicht
ordnen könnten. Schulfächer sind auch wichtige geistige
Ordnungsinstrumente, - nicht zuletzt für die Lehrer selbst. Deshalb plädiere
ich wie Klafki durchaus dafür, grundlegende politisch-gesellschaftliche
Probleme, die die Heranwachsenden voraussichtlich später zu den ihren
machen müssen, in den Kanon der Allgemeinbildung aufzunehmen, aber nicht
als fächerübergreifende Aufgaben, sondern als Kern des dafür zuständigen
Faches: der politischen Bildung. 8. Ein weiteres, ebenfalls schon in
der politischen Bildung ausführlich erörtertes Problem ergibt sich aus
dem Pluralismus jedes problemorientierten didaktischen Konzepts. Klafki
stellt mit Recht fest, daß es zur Selbstbestimmung des Schülers gehöre,
seine eigene Position zur Geltung bringen zu dürfen, woraus er folgert,
„daß die Lehrenden in einem so verstandenen pädagogischen Dialog den
Lernenden gegenüber bestenfalls graduelle Vorsprünge haben, also Mitlernende, kritisch Befragte und Befragende sind und es ständig bleiben
müssen" (S. 61 f.). Andererseits habe dies „nichts mit
Beliebigkeit und prinzipienlosem Pluralismus zu tun" (S.
62). Gerade
in diesem Widerspruch stecken aber die Schwierigkeiten. Eine politische
oder sonstige Meinung darf jeder Bürger ohne irgendeine Begründung oder
sonstige Rechtfertigung äußern. Klafki möchte aber unter seinem
Bildungsanspruch solche Meinungsäußerungen in der Schule an bestimmte
Bedingungen knüpfen, etwa an „Argumentationsbereitschaft" und
„Empathie" (S. 62). Ich halte das insofern für richtig, als in der
Schule - genauer gesagt: im Unterricht - nicht irgendwie, sondern nur
unter derartigen Ansprüchen miteinander geredet werden sollte. Aber eine
solche Maxime, die sonst für den Umgang der Bürger nicht gelten muß,
macht die schulische Kommunikation gerade politisch exterritorial. Wenn
Klafki dem zustimmen sollte, dann besteht der „Vorsprung" des
Lehrers aber doch gerade darin, diese Maxime gegen „Beliebigkeit"
und „prinzipienlosen Pluralismus" durchzusetzen. Auch in ihrer
Rolle als Unterrichtende haben die Lehrer nicht nur „graduelle Vorsprünge",
sondern hier ist ihr Vorsprung geradezu konstitutiv für den Unterricht;
denn nur durch diese Differenz kann er sich legitimieren. Es gibt
offensichtlich einen Widerspruch zwischen dem Schüler als Bürger, der
Meinungen ohne Begründungen äußern darf, und dem Schüler als
Unterrichtsteilnehmer, der nur unter dem Vorbehalt der
„Argumentationsbereitschaft" und der „Empathie" sprechen
darf. Nun
widerspräche es aller pädagogischen Vernunft, den Schüler als Bürger
grundsätzlich nicht zu Wort kommen zu lassen. Zu lösen ist dieses
Problem wohl nur dadurch, daß der Lehrer den Schülern ebenfalls in
diesen beiden Rollen gegenüber tritt. Indem er zwischen diesen Rollen
wechselt und diesen Wechsel jeweils deutlich macht, vermag er wenigstens
tendenziell die sachlichen Zusammenhänge, die zu unterrichten seine
Aufgabe ist, von deren normativen Implikationen zu trennen, die - wie z.
B. alle politischen Fragen - der Diskussion unterliegen können. Stehen
diese letzteren Fragen zur Debatte, hat er gar keinen Vorsprung mehr vor
seinen Schülern, weil auf dieser Ebene alle Staatsbürger gleichrangig
sind - was nicht ausschließt, daß seine Art der Argumentation und der
persönlichen Stellungnahme durchaus Vorbildwirkungen haben mag; aber
darauf kann er nicht setzen. Politisch gesehen ist der Pluralismus nun
einmal „beliebig", was die erlaubten Meinungsäußerungen betrifft,
und deshalb gehören diese nicht ohne vorgängige Klärung der
Sachverhalte in den Unterricht. Ob bei solchen Klärungen auch an und für
sich gewiß wünschenswerte „Einstellungen und Fähigkeiten" wie
„Kritikbereitschaft und -fähigkeit",
„Argumentationsbereitschaft- und -fähigkeit" und „Empathie"
(S. 63) dauerhaft angeeignet werden, bleibt wieder nur zu hoffen. Klafki
erliegt hier der Versuchung, zuviel an sich Wünschenswertes in sein
Bildungskonzept hineinzupacken, dadurch die Argumentation zu überfrachten
und den Blick für das praktisch Realisierbare zu verlieren. 9. Zu den zu fordernden
„Einstellungen und Fähigkeiten" zählt Klafki aber auch
„vernetzendes Denken" bzw. - weniger modisch ausgedrückt -
„Zusammenhangsdenken" (S. 63
f.). Dieser eher beiläufige Hinweis
zielt nun aber auf den eigentlichen Kern der didaktischen Problematik.
Soll nämlich die Arbeit an den Schlüsselproblemen nicht in einer
geradezu endlosen Reihung von Einzelthemen versanden, die - um es im Schülerjargon
zu sagen - „irgendwie" zusammenhängen, müssen die Themen um
didaktische Grundmodelle herum organisiert sein, die die Schlüsselprobleme
von sich aus - wie wir sahen - nicht hergeben. Für dieses Problem bietet
Klafki leider keine Lösung an, und das liegt gewiß auch an der Struktur
seines Konzeptes. Modellhafte didaktische Verdichtungen, um die herum sich
viele Einzelthemen gruppieren ließen, sind nämlich nur auf dem
Hintergrund einer fachlich-systematischen Strukturierung des Unterricht möglich.
Sie finden sich jedoch inzwischen nicht einmal mehr durchgängig in der
didaktischen Literatur der politischen Bildung. Beispiele für solche
generellen Modelle wären etwa „Parlament", „Vertrag" und
„Haushalt". Die Schlüsselprobleme jedoch, wie Klafki sie versteht,
enthalten aus den bereits erwähnten Gründen von sich aus, das heißt von
ihrer sachlichen Struktur her, keinerlei Hinweise auf ihre mögliche
kategoriale Verdichtung. Da hilft auch Klafkis wiederholter Hinweis auf
die Notwendigkeit fächerübergreifender Veranstaltungen nichts, denn in
Probleme, die als solche didaktisch nicht hinreichend verdichtet werden können,
vermögen auch kooperierende Fächer durch ihre bloße Kooperation keine
Struktur zu bringen. Trotz der eigentlich jedermann einleuchtenden Schlüsselprobleme
bleibt deshalb Klafkis Konzept auf eine eigentümliche Weise inhaltsleer. 10. Es schwankt zudem zwischen der
Aufklärung der Welt - als Aufklärung der Schlüsselprobleme -, die ein
allgemeinbildender Unterricht vielleicht tatsächlich bis zu einem
gewissen Grade leisten könnte, und der Herstellung personaler
Dispositionen wie Einstellungen und Fähigkeiten, die der Unterricht nicht
oder jedenfalls nicht planbar erreichen kann. Es gehe nicht nur um
„kognitive Ansprüche", sondern auch darum, „emotionale
Erfahrungen und Betroffenheiten zu ermöglichen, zum Ausdruck zu bringen
und zu reflektieren, und die moralische und politische Verantwortlichkeit,
Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit anzusprechen" (S.
65). Gegen die Betonung solcher außerkognitiver
Aspekte läßt sich mancherlei einwenden, etwa daß sie in Wahrheit gar
nicht realisiert werden können und deshalb illusorisch sind oder daß sie
möglicherweise sogar unerlaubt in die Persönlichkeitsrechte des Schülers
eingreifen, weil betroffen zu sein und sich entsprechend zu äußern kein
Anspruch öffentlicher Einrichtungen wie der Schule sein darf. Mir kommt
es angesichts der Häufung solcher Postulate und ihrer offensichtlich
konstitutiven Bedeutung für das Konzept aber eher auf die grundsätzliche
Feststellung an, daß es zumindest in diesem Punkte kein „neues"
Konstrukt ist, sondern ein altes. Neu wäre ein Bildungskonzept, das nun
endlich auf vorgängige intentionale erzieherische Instrumentalisierungen
verzichtet und uneingeschränkt auf die Aufklärung der Welt durch
Unterricht setzt. Erzieherische Rückversicherungen im Bildungskonzept
haben ja eine konservative, um nicht zu sagen autoritäre Tradition; sie
dienten in der Vergangenheit nicht zuletzt dazu, die kritischen
Implikationen, die dem Bestreben nach Aufklärung der Welt und der
Position des einzelnen in ihr von Anfang an anhafteten, gegenüber den
Herrschenden abzuschwächen. Es wäre lohnend, diesem Zusammenhang von
aufklärender Bildung und diese Aufklärung sogleich wieder zurücknehmender
Erziehung historisch einmal genauer nachzugehen. In einer modernen,
demokratisch verfaßten und pluralistisch strukturierten Gesellschaft sind
derlei Rücksichtnahmen und ihre Absicherung in bildungstheoretischen und
didaktischen Konstruktionen einfach überholt. Allseitige Bildung Neben
die Bestimmung der Allgemeinbildung als „Bildung für alle" und als
„Bildung im Medium des Allgemeinen" tritt als dritte Dimension die
„Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten"
(S. 54). Darunter versteht Klafki „die Mehrdimensionalität menschlicher
Aktivität und Rezeptivität" (S.
69), wie die Entwicklung
entsprechender kognitiver, emotionaler, ästhetischer, sozialer,
praktisch-technischer und ethischer bzw. religiöser Sinndeutungen. Mit
dieser dritten Ebene wird die eben erörterte zweite der „Schlüsselprobleme"
zugleich begrenzt, weil die einseitige Konzentration darauf die Gefahr der
Blickverengung, der mangelnden Offenheit und auch der intellektuellen,
emotionalen und moralischen Überforderung enthalte. Auf dieser Ebene
komme es vor allem darauf an, „das Lernen zu
lernen" (S. 70) durch Offensein für neue Erfahrungen, durch die
Gewinnung von „Grundkategorien" und durch das Erlernen von Methoden
zur Gewinnung neuer Informationen. Während „der Problemunterricht über Schlüsselprobleme ... als verbindlicher curricularer Bestandteil gelten" (S. 73) soll, fehlen ähnlich verbindliche Aussagen über den. subjektorientierten Teil der Allgemeinbildung. Jeder Unterricht setzt schließlich das „Offensein für neue Erfahrungen" voraus, und „Grundkategorien" müssen ja in irgendeiner Weise an Inhalte geknüpft sein. Hier führt Klafki keinen Gesichtspunkt ein, aus dem sich ein plausibler Kanon ergeben könnte, und der Hinweis auf das Lernen des Lernens bleibt von sich aus gänzlich inhaltsleer. Statt dessen wird die Inhaltsfrage den Schülern zugespielt. Sie sollen in beiden Bereichen Schwerpunkte setzen können, damit sie sich gemäß ihren Interessen und Begabungen auf einen von ihnen gewünschten Berufsbereich orientieren können; denn die „schematische Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung" (S. 74) müsse ebenso wie die Scheidung von theoretischer und praktischer Ausbildung aufgehoben werden. Auch zu diesem dritten Teil des
Allgemeinbildungskonzepts drängen sich einige Fragen auf: 1.
Ausdrücklich nimmt Klafki hier Abschied von der Humboldtschen
Vorstellung, daß Allgemeinbildung das Konzentrat an Bildung sei, das
jeder beruflichen Spezialisierung vorausgehen müsse, damit es gerade
dadurch disponibel mache für eine ganze Reihe von möglichen beruflichen
Tätigkeiten; diese Vorstellung beruhe auf „irrigen
Voraussetzungen" (S. 74). Mir scheint das Gegenteil richtig zu sein;
denn ein Blick in die Einstellungspraxis der modernen Industrie zeigt
schnell, daß allgemeine Qualifikationen hier im Vergleich zu früher
heute eher als wichtiger angesehen werden. So sind viele Stellen für
qualifizierte Facharbeiter, die früher mit Volks- bzw. Hauptschulabgängern
besetzt wurden, längst für Fachhochschulabsolventen vorgesehen. Diese
scheinen wegen ihrer höheren Allgemeinbildung - was immer das heißen mag
- offensichtlich disponibler zu sein für Anlernprozesse an Aufgaben, die
jeweils anliegen. Die überhaupt zunehmende Tendenz, auch für untere und
mittlere Positionen in der Wirtschaft möglichst hohe
Allgemeinbildungsabschlüsse vorauszusetzen, spricht jedenfalls gegen
Klafkis Schlußfolgerung. Der in den siebziger Jahren erneuerte Versuch,
der für hinfällig gehaltenen allgemeinen Bildung durch Berufs- und
insoweit auch Praxisorientierung neues Leben einzuhauchen, ist auf der
ganzen Linie - auch im Rahmen der Lehrerbildung - gescheitert, weil solche
Fixierungen die notwendige Mobilität nur eingeschränkt haben. Das läßt
sich an folgender Überlegung demonstrieren: Wären alle Jugendlichen fähig,
das Abitur zu machen, gäbe es kaum einen Bedarf mehr für das „duale
System", dessen Niedergang ja ebenfalls etwas mit den gestiegenen
allgemeinen Qualifikationsanforderungen zu tun hat. Das duale System der
deutschen Berufsausbildung entstand ja nicht deshalb, weil hier die
Verbindung von Theorie und Praxis, von Kopf und Hand, ideal zu realisieren
war; vielmehr handelte es sich dabei um eine Notlösung, weil höher
gebildete Kräfte für derartige Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt
jahrzehntelang nicht zu bekommen waren, was wiederum nicht zuletzt daran
lag, daß die Gesellschaft sich eine höchstmögliche Bildung für alle ökonomisch
nicht leisten konnte - teilweise sicher auch nicht wollte - , und daß
andererseits auch nicht genügend Bildungspotential in der Bevölkerung
vorhanden war. Eine
höchstmögliche „Bildung für alle" scheiterte nämlich auch
mangels Akzeptanz bei den Bevölkerungsschichten, die man dabei im Auge
hatte; denn diese fanden dazu von ihrer familiären Tradition und von
ihrem Milieu her über viele Generationen hinweg keinen sozio-emotionalen
Zugang. Die Bildungswerbung der sechziger Jahre hat diesen Zusammenhang ja
noch einmal deutlich sichtbar gemacht. Klafkis Plädoyer für die Zusammenführung
von beruflicher und allgemeiner Bildung ist historisch überholt. Seit
Kerschensteiners Vorstoß in diese Richtung um die Jahrhundertwende
entsprang das Thema ohnehin eher einer moralischen Verlegenheit als zweckmäßigen
Überlegungen. Es ging damals um die Lösung der „sozialen Frage",
nämlich um die Integration der Arbeiterschaft in die bürgerliche
Gesellschaft, die das Bürgertum wesentlich auch als kulturelle
Integration verstand. Dazu gehörte, daß auch die Arbeiterkinder in den
Olymp des deutschen Bildungsdenkens einziehen sollten - allerdings ohne daß
dadurch ihre tatsächlichen gesellschaftlichen Chancen nennenswert
verbessert wurden. Daß Berufsbildung - richtig verstanden - auch
Allgemeinbildung sein könne, hat seither die Pädagogik immer wieder
beschäftigt. In dem Maße jedoch, wie die Bildungsschranken fielen - mit
einem letzten großen Schub seit Anfang der siebziger Jahre - verlor
dieses Thema an Bedeutung. Aktuell ist es nur noch insofern, als der Übergang
von einer berufsorientierten Bildungskarriere in das Hochschulsystem ohne
unzumutbare Belastungen - im Prinzip also auch ohne Abitur - möglich sein
und verbessert werden müßte. Diese prinzipielle Frage nach dem Verhältnis
von Allgemeinbildung und Berufsbildung ist zu trennen von der anderen,
welche Bildungsgänge den Schülern angeboten werden können oder sollen,
die den Ansprüchen einer allgemeinbildenden Schule nur in Grenzen
gewachsen sind; hier würde es um optimale Förderung einer Minderheit
gehen, und dafür mag eine etwa am Handwerk orientierte Kombination von
unterrichtlicher und praktischer Bildung besonders geeignet sein. Moderne
Berufsausbildung setzt sich jedoch zunehmend aus einer möglichst hohen
schulischen bzw. hochschulischen Qualifikation einerseits und An- bzw.
Umlernprozessen im Betrieb andererseits zusammen. Das vielfach hochgelobte
„Praktische" an der alten handwerklichen bzw. gewerblichen
Berufsausbildung verliert in dem Maße an allgemeiner Bedeutung, wie die
„alten Industrien" - im Ruhrgebiet deutlich erkennbar - aussterben
und technologisch anspruchsvolleren Unternehmen Platz machen müssen.
Diese Tendenz legt vielleicht nahe, in den Kanon der Allgemeinbildung stärker
als bisher Elemente aus dem Wirtschaftsbereich einzubeziehen, aber nicht
wegen ihrer jeweiligen Nähe zu bestimmten Berufen oder Berufsgruppen,
sondern weil sie heute zu den generellen Grundlagen einer allgemein
gebildeten Persönlichkeit gehören. Skepsis ist jedoch angebracht gegen
individuelle Schwerpunktbildungen auf der gymnasialen Oberstufe oder als
individualisiertes „Bildungsprofil" in anderen Schularten bzw. -
stufen, weil sie jedenfalls von der Berufsorientierung her nicht mehr
sinnvoll begründbar sind. Wenn die allgemeinbildende Schule das
Allgemeine im Sinne dessen, was der beruflichen Qualifikation vorangeht,
nicht mehr lehren zu können glaubt, muß sie ihre Schüler in die
berufsbezogenen Schulen entlassen, anstatt berufliche
Scheinqualifizierungen unter dem Signum der Allgemeinbildung anzubieten. Jedenfalls scheint gerade der Aspekt
des Humboldtschen Konzeptes, den Klafki für „irrig" hält, heute
im Gegenteil einer besonderen Aufmerksamkeit würdig. 2. Auch die alte, an Humboldt
orientierte Bildungstheorie hat ja den Gesichtspunkt der Förderung möglichst
aller Fähigkeiten des Kindes ernst genommen, was etwa dem Fächerkanon zu
entnehmen ist, zu dem ja immer auch künstlerisch-ästhetische Fächer gehörten.
Weil Klafki aber gerade der Aufteilung des schulischen Lernens in Fächer
eher ablehnend gegenübersteht und statt dessen einen möglichst fächerübergreifenden
Unterricht favorisiert, vermag er auch den subjektorientierten Teil seines
Allgemeinbildungskonzepts nicht weiter zu präzisieren; auch dieser ist
folgerichtig auf eine eigentümliche Weise inhaltsleer. Ungeklärt bleibt
auch, welche Fähigkeiten die Schule eigentlich mit ihren Mitteln, nämlich
denen des Unterrichts, überhaupt entwickeln helfen kann, und welche zu
ihrer Entfaltung außerschulischen Angeboten überlassen bleiben müssen.
Diese Frage wäre leichter zu beantworten, wenn Allgemeinbildung als ein
die Schule übergreifendes Konzept verstanden würde, an dem sich dann
auch andere pädagogische Instanzen wie Jugendarbeit oder Freizeitpädagogik
orientieren könnten. Vorschläge Meine Kritik des von Klafki vorgelegten Allgemeinbildungskonzeptes löst natürlich die damit angesprochen Probleme nicht. Aber möglicherweise könnten die folgenden Überlegungen die Diskussion weiterführen: 1. Ich stimme Klafki darin zu, daß
ein modernes Allgemeinbildungskonzept eine höchstmögliche Bildung für
alle im Blick haben muß. Das ist schon aus politischen Gründen in
unserer demokratischen Staats- und Gesellschaftsverfassung geboten. Daraus
kann aber nicht gefolgert werden, daß die damit verbundenen Anforderungen
nicht gegliedert sein dürften, - ob nun im Sinne eines mehrgliedrigen
Schulwesens oder im Sinne einer schulforminternen Stufung der
Leistungsansprüche. Ich warne auch davor, mit dieser Maxime
schulorganisatorische, didaktische und unterrichtsmethodische Einzelfragen
zu koppeln, - nicht nur, weil das den erforderlichen politischen Konsens
gefährden muß, sondern vor allem auch, weil eine solches Verfahren
wissenschaftlich nicht zu halten ist. Die Antwort darauf, welche
Unterrichtsmethode oder welche Zusammensetzung einer Lerngruppe für ein
bestimmtes Bildungsziel optimal ist, ist von so vielen variablen
Bedingungen abhängig, daß sie nicht von vornherein mit einem allgemeinen
Bildungskonzept verbunden werden darf. Andererseits ergibt sich aus der Maßgabe
einer höchstmöglichen Bildung für alle unstreitig auch eine besondere
Pflicht zur Förderung benachteiligter Kinder, was aber nur unter Vorgabe
des Normalanspruchs einer bestimmten Bildungsstufe sinnvoll sein kann.
2.
Auch der Forderung nach allseitiger oder jedenfalls möglichst
vielseitiger Bildung kann ich mich grundsätzlich anschließen. Beschränkt
man jedoch den Begriff der Allgemeinbildung auf die Schule, muß man auch
die Grenzen sehen. Sie liegen zum einen in den Unterrichtsstoffen und zum
anderen im methodischen Repertoire beschlossen. Im allgemeinen dürfte z.
B. der Mathematikunterricht andere menschliche Seiten zum Klingen bringen
als der Musikunterricht, obwohl das tatsächlich nicht immer der Fall sein
muß. Unterrichtsmethoden, die auf Einzelarbeit setzen, fordern andere Fähigkeiten
heraus als solche, die nur kooperativ zu erledigen sind. Aber schulische
Arbeit ist in erster Linie Kopfarbeit. Andererseits ist nicht zu
bezweifeln, daß jedes menschliche Handeln - also auch das Lernen -
rationale und emotionale Aspekte miteinander verbindet. Gleichwohl werden
diese in unterschiedlichen Lebenssituationen verschieden akzentuiert - in
Intimsituationen z. B. anders als in der Öffentlichkeit. Der Mensch muß
jeweils entscheiden, welcher der beiden Dimensionen er in einer bestimmten
Situation die Führung überläßt. Insofern ist durchaus statthaft, im
Unterricht den Primat der Rationalität zu verlangen, was nicht ausschließt,
daß die emotionalen Implikationen dabei ebenfalls angesprochen werden können,
wenn die Schüler dies wünschen; aber da man über Gefühle schlecht
argumentieren kann - außer über ihre Folgen für das Verhalten - müssen
sie hier, im Raum der Schule, den rationalen Ansprüchen des Unterrichts
untergeordnet bleiben. Es ist also keineswegs anthropologisch widersinnig,
in bestimmten Lebenssituationen den Vorrang des rationalen Diskurses zu
fordern, schließlich beruht berufliche Zuverlässigkeit - zumal wenn
Sicherheitsrisiken minimiert werden sollen - in hohem Maße darauf. Zudem
gibt es keinen logisch zwingenden Zusammenhang zwischen bestimmten
Gedanken und den durch sie mobilisierten Gefühlen, deshalb reagieren auch
Schüler auf ein und denselben Schulstoff emotional durchaus
unterschiedlich. Schon aus diesem Grunde ist es gar nicht möglich,
Betroffenheiten ins unterrichtliche Kalkül einzubeziehen. Pestalozzis
gegenwärtig oft zitierte Maxime, Lernen müsse „mit Kopf, Herz und
Hand" erfolgen, hatte die besondere Bildungssituation einer
bestimmten Klientel im Blick und kannte zudem noch keine moderne
Arbeitsteilung.[2]
Die Geschicklichkeit der „Hand" muß gewiß geübt werden, aber
letzten Endes gehorcht sie den Befehlen des Kopfes, und rationales Lernen
ist generell keineswegs erfolgreicher, wenn es mit praktischen Tätigkeiten
verbunden ist; „Praxis" in diesem Sinne kann Denken auch stören
und behindern. Überhaupt wäre es ein Fehler, ein
Allgemeinbildungskonzept von vornherein mit bestimmten methodischen
Vorgaben zu versehen; das inzwischen reiche Repertoire an methodischen
Inszenierungsmöglichkeiten muß vielmehr grundsätzlich offen gehalten
werden. 3. Wir
werden nicht darum herumkommen, das Kanonproblem wieder aufzugreifen:
Welche Fächer sind mit welchen Themen warum allgemeinbildend? Was soll
die Schule lehren und in welcher geistigen Struktur soll sie das tun? Aus
praktischen Gründen schlage ich vor, dieses Problem nicht vom Nullpunkt
aus zu entwickeln, sondern den Weg der Korrektur des gegenwärtigen
Zustandes zu wählen. Auf jeden
Fall müßten dabei mehrere Gesichtspunkte miteinander kombiniert werden: a. Allgemeinbildung muß strukturiert
sein im Hinblick auf die gegenwärtigen und künftigen Partizipationsmöglichkeiten
des Kindes. Bildung ist so gesehen Teilhabehilfe. Dabei geht es vor allem
um die berufliche, kulturelle und politische Beteiligung, und
charakteristisch für Allgemeinbildung ist eben, daß keine von ihnen
einen Vorzug erhält, - im Unterschied zur späteren beruflichen
Ausbildung. Nur in diesem Sinne läßt sich die eben erwähnte Forderung
verstehen, daß alle Fähigkeiten des Kindes zu fördern seien, sofern
dies mit den Mitteln der Schule möglich ist. Allerdings ziehe ich für
die Konkretisierung dieser Forderung eine soziale bzw. politische
Definition der sonst üblichen anthropologischen vor. Man kann zwar
Allgemeinbildung gleichsam an und für sich denken, ohne Rücksicht auf
historisch gebotene Konkretisierungen, und dann liegt der anthropologische
Ansatz natürlich nahe. Aber unsere Kinder wachsen nicht überhaupt,
sondern in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft auf. Wie die pädagogische
Diskussion immer wieder zeigt, werden bei anthropologischen Ableitungen
neben wissenschaftlich einigermaßen gesicherten Erkenntnissen stets eine
Reihe von Spekulationen und nicht konsensfähigen Sinndeutungen
mobilisiert, die eine pragmatische Verständigung ungemein erschweren. Die
notwendige Neuformulierung der Allgemeinbildung muß sich jedoch beschränken
auf das, was allgemeine Zustimmung finden kann, und deshalb auf die
Beantwortung von Sinnfragen verzichten, diese vielmehr dem Bildungsprozeß
selbst überantworten. Nicht strittig kann dagegen sein, daß die Kinder
die tatsächlichen Chancen, die unsere Gesellschaft ihnen bietet, auch
nutzen lernen sollen. Dafür brauchen sie aber grundlegende Kenntnisse über
die jeweiligen Wirklichkeitsaspekte, die zwar auch unter dem von mir gewählten
sozialen Maßstab nicht eindeutig zu bestimmen sind, aber doch wohl mit
hinreichender Übereinstimmung gefunden werden könnten. Diese Chance erhöht
sich in dem Maße, wie man darauf verzichtet, im Angebot der
Allgemeinbildung mehr zu sehen als Grundlagen für weitere schulische und
außerschulische Lernprozesse. Die traditionelle Vorstellung von einem
Kanon als in sich geschlossenem geistigen System ist nicht mehr
realistisch. Die
Chance zur Partizipation muß allen Kindern vom Eintritt in die Schule an
als eine grundsätzlich gleiche gewährt werden. Jedes Kind muß dann
allerdings in seinem weiteren Bildungs- und Lebensweg selbst entscheiden,
wieweit es sie nutzen, also bis zu welcher Stufe es vordringen will. Damit
ist eine zusätzliche Schwierigkeit angesprochen. Früher, als die Chancen
des Kindes jeweils schichten- und klassenspezifisch weitgehend vorweg,
also ohne Zutun des Kindes selbst, prädestiniert waren, konnte man von
verschiedenen „Bildungsaufträgen" der - von der Grundschule
abgesehen - nebeneinander existierenden Schulformen ausgehen. Das aber ist
politisch nicht mehr vertretbar. Heute können wir allenfalls noch im
Hinblick auf die unterschiedlichen Leistungsstufen (Grundschule,
Hauptschule, Realschule, Gymnasium) von verschiedenen Bildungsaufträgen,
genauer gesagt: von verschiedenen Stufungen des Bildungskonzepts sprechen.
Ohne
eine solche Rangfolge, die subjektiv auch erfahrbar wird, ergäbe es für
die Schüler kaum einen Sinn, sich jahrelang Tag für Tag in Schulen
aufzuhalten. Solche Graduierungen können aber nicht aus der je
subjektiven Innerlichkeit abgleitet werden („Lernen lernen"),
sondern nur aus entsprechenden auseinander hervorgehenden Aufgaben, die
wiederum nur von der sachlichen Seite, also von den Unterrichtsstoffen her
definiert werden können. Gerade weil wir aber die
Partizipationsperspektive nicht mehr klassen- oder schichtspezifisch
vorgeben können, ist die Festsetzung der Bildungsinhalte, die zunächst für
alle Kinder (etwa in der Grundschule) gelten sollen, um sich dann in
Schulstufen bzw. Schulformen zu differenzieren, schwierig geworden. Wir müssen
heute für alle Kinder eine Allgemeinbildung formulieren, obwohl wir nicht
wissen, in welchem sozialen Rahmen, mit welchem Status und unter welchen
Handlungskonstellationen sie später davon Gebrauch machen werden. Diese
Unklarkeit zwingt zu relativ abstrakten Überlegungen, - so ähnlich, als
wollte man eine Berufsausbildung planen ohne zu wissen, welchen Berufen
sie eigentlich dienen soll. Dieser Problematik kann man jedoch nicht
dadurch entgehen, daß man die inhaltlichen Entscheidungen zunehmend auf
die Schüler verlagert und das euphemistisch als Individualisierung
bezeichnet. Die Gesellschaft muß schon selbst sagen und begründen, was
sie warum von der nachwachsenden Generation an Bildungsanstrengungen
erwartet. b. Die allgemeinbildende Schule ist
schließlich eine Veranstaltung der ganzen Gesellschaft, keine bloß pädagogische.
Die Gesellschaft hat ein existentielles Interesse daran, daß die jeweils
nachwachsende Generation das bereits vorhandene Potential an Kenntnissen
und Fähigkeiten zumindest übernehmen, möglichst sogar übertreffen
kann. Ohne eine Garantie für diesen Stabwechsel der Generationen würden
das gesellschaftliche Leben und damit auch die Lebensqualität eines jeden
einzelnen zusammenbrechen. Deshalb muß es Lehrpläne bzw. Richtlinien,
Leistungsanforderungen und deren Kontrolle geben, weil sonst die
Lernarrangements in den Schulen beliebig würden und insofern am
gesellschaftlichen Zweck der Veranstaltung Schule vorbeigehen könnten.
Jede nachwachsende Generation braucht - wenn auch auf unterschiedlichen
Ebenen der Leistungsfähigkeit - einen gemeinsamen Bestand von
Kenntnissen, Fähigkeiten und Weltvorstellungen, um die gesellschaftlichen
Funktionen später wenigstens mit einem Minimum an Gemeinsamkeiten übernehmen
zu können. „Bildung im Medium des Allgemeinen" darf deshalb nicht
auf wenige, zudem im wesentlichen politisch definierte „Schlüsselprobleme"
reduziert werden. Zugleich dienen die gesellschaftlichen Vorgaben dazu,
den Kindern und jugendlichen aus eigenem Recht, nicht aufgrund ihrer
Geburt oder Herkunft, einen ihren Leistungen angemessenen
gesellschaftlichen Status zu ermöglichen. Diese Gemeinsamkeiten in Lehrplänen
und Richtlinien festzulegen ist heute nicht einfach und wohl nur im Rahmen
eines möglichst großen gesellschaftlichen Konsenses zu erreichen. Bei
Klafki allerdings spielen die gesellschaftlichen Vorgaben der
Allgemeinbildung kaum eine Rolle. c. Der künftige Kanon wird nicht mehr
in erster Linie auf bestimmten Wissensmengen basieren können, obwohl die
gegenteilige Erwartung schon wegen ihrer praktikablen Verwaltungsfähigkeit
schwer auszutreiben sein wird. Informationen werden aber in Zukunft
jederzeit und überall verhältnismäßig leicht abrufbar sein. Vielmehr
kommt es auf die Herausbildung grundlegender, exemplarischer oder sonstwie
modellhafter Vorstellungen an, in der bedeutsame Aspekte der Wirklichkeit
so konzentriert werden können, daß diese Verstehensstrukturen flexibel
mit neuen Informationen verbunden werden können. Gewiß spielt dabei auch
ein Mindestmaß an Wissen nach wie vor eine Rolle, aber nur insofern es
zum Aufbau grundlegender geistiger Strukturen bzw. zu ihrer Erweiterung
benötigt wird. Die Aufgabe besteht paradoxerweise darin, mit einem
Minimum an Wissen (im Sinne von Informationen) ein Optimum an
Vorstellungskraft zu erzielen. Dafür wäre übrigens Klafkis ursprüngliches
Konzept der „kategorialen Bildung" nach wie vor hilfreich. Solche
grundlegenden Strukturen können nur von den jeweiligen Fachdidaktiken in
Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaften gefunden werden. d. Abschied zu nehmen ist von solchen
Lernzielkonstruktionen, die nicht diese geistigen Strukturen aufgliedern,
sondern ihnen als außersachliche, z. B. handlungsorientierte
Zielvorstellungen vorgegeben sind. Dieses Verfahren löst die logische
Struktur der Fächer auf zugunsten additiv herausgepickter Stoffinseln,
wie sie sich längst in Richtlinien und Schulbüchern niedergeschlagen
haben. Diese Tendenz wird durch fächerübergreifende Stoffpläne oder
durch Zusammenlegung von Fächern noch verstärkt, falls dabei nicht
logisch gegliederte Strukturen herauskommen, die auch dem Schüler
plausibel werden lassen, wieso er sich über Jahre hinweg damit beschäftigen
soll. e. Allgemeinbildung ist nur aufgeteilt
in Fächer denkbar, die bestimmten Bereichen der Wirklichkeit entsprechen.
Deren Zahl, innere Struktur und Stoffe sind jedoch nicht einfach aus
wissenschaftlichen oder allgemeindidaktischen Prämissen ableitbar, sie können
nur pragmatisch verhandelt werden. Das Streben nach Konsens kann aber
dadurch erleichtert werden, daß in keiner Hinsicht Vollständigkeit
angestrebt werden muß und kann. Die Fachorientierung ist aus mehreren Gründen
unerläßlich:
f. In den letzten Jahrzehnten ist üblich
geworden, auf gesellschaftliche Probleme mit neuen Fächern, Stoffen oder
Fächerkombinationen zu reagieren. Auch den angeblichen Bedürfnissen und
Perspektiven der Schüler sollte auf diese Weise Rechnung getragen werden.
Zustande gekommen ist aber lediglich
eine Addition, die längst keinen erkennbaren inneren geistigen
Zusammenhang mehr zum Ausdruck bringt. Die Diskussion einer neuen
Allgemeinbildung muß diesen Prozeß bilanzieren und prüfen, was davon
wirklich grundlegend für gegenwärtig und künftig offene Optionen und
Partizipationen ist und was auch später noch gelernt werden könnte, wenn
Interessen, Status und Handlungsrichtung der Schüler genauer erkennbar
sind. So wäre etwa zu fragen, ob nicht eine Fremdsprache, nämlich
Englisch, möglichst früh und möglichst gut gelernt werden sollte, während
weitere Fremdsprachen höheren Bildungsstufen bzw. entsprechenden
Berufsausbildungen vorbehalten werden sollten. In ähnlicher Weise wären
andere Fächer und Stoffe zu durchforsten mit dem Ziel, die wirklich
bedeutsamen Grundlagen einer für alle Kinder konzipierten und sich
gleichwohl in Stufen zu entfaltenden Bildung zu ermitteln. Das wird
allerdings nur gegen einschlägige politische wie verbandliche Interessen
möglich sein. 4. Kommt es einerseits unter dem
Leitmotiv der Allgemeinbildung auf die Herausbildung von angemessenen
Weltvorstellungen an, auf die „Herstellung eines richtigen Bewußtseins"
(Adorno), so andererseits auf die Übung der dafür benötigten formalen Fähigkeiten.
Für das damit Gemeinte ist der Begriff „Schlüsselqualifikationen"
populär geworden. Wie das Wort ausdrückt, soll es sich dabei um solche Fähigkeiten
und Fertigkeiten handeln, die, einmal gelernt, wie ein Schlüssel die Tür
zu weiteren sich daraus ergebenden Fähigkeiten zu eröffnen vermögen.
Ich verwende dieses Bild jedoch nur ungern, weil es zu viele noch ungeklärte
Implikationen enthält. Was ist dabei ein Schlüssel für was? So gilt
„Teamfähigkeit" vielfach als eine solche Qualifikation, etwa in
dem Sinne, daß diese soziale Fähigkeit, von der Grundschule an gelernt,
später auf das Berufsleben übertragbar sei - eine Ansicht, die auch von
Wirtschaftsvertretern gelegentlich geäußert und deshalb gern als
positive Rückmeldung in der Schulpädagogik vermerkt wird. Sieht man
genauer hin, dann stellt sich jedoch schnell heraus, daß es sich dabei um
kaum mehr als bloße Analogie handelt. In der Grundschule wird darunter
meist verstanden, daß in kleinen Gruppen z. B. drei gute Schüler mit
zwei weniger guten („soziales Lernen") zum gemeinsamen Erfolg
gelangen. Das aber können Wirtschaftsvertreter nicht ernsthaft meinen,
denn zu dem Zweck, weniger Leistungsfähige zu fördern, würden sie diese
nicht einstellen. Wahrscheinlich meinen sie einen bestimmten Umgangsstil
in ihrem Unternehmen, der dem Betriebsklima und damit auch der Effizienz
zugute kommt. Den kann man in der Tat auch in der Schule lernen,
Voraussetzung dafür sind aber nicht bestimmte didaktisch-methodische
Arrangements. „Teamarbeit", die dieses Wort im Unterschied zur
allgemein üblichen Zivilität des Umgangs verdient, ist auch in der
Wirtschaft keineswegs generell üblich, sondern auf bestimmte Projekte
beschränkt, bei denen Mitarbeiter zusammenwirken müssen, die einerseits
eine hohe gemeinsame Qualifikation aufweisen und zugleich einzeln über
jeweils spezielle Kenntnisse verfügen, die für die Lösung eines
Problems notwendig sind. Die formalen Fähigkeiten, die im
allgemeinbildenden Unterricht der Schule gelernt werden können, sind
demgegenüber begrenzt. Es sind vor allem die folgenden:
5. Die Neuformulierung der Allgemeinbildung wird die Tatsache der pluralistischen Sozialisation voraussetzen und akzeptieren müssen. Daraus resultiert aber, daß die Schule nur ein Instrument im Konzert der gesamten Sozialisation darstellt und daß die Allgemeinbildung, die sie vermittelt, nur eine Intervention in Lebenszusammenhänge darstellt, über die sie im übrigen nicht verfügen kann. Die der Allgemeinbildung zugrunde liegende Idee der Aufklärung kann außerhalb der Schule nur in dem Maße wirksam werden, wie die durch sie vermittelten Qualifikationen dort auch gebraucht und abgerufen werden. 6. Bildungsreformen können - und müssen
wohl auch - politisch-parteiliche Ausgangspunkte und Tendenzen ins Feld führen;
denn dabei geht es immer in irgendeiner Form um die Korrektur von
Benachteiligungen bestimmter Gruppen von Kindern. Die letzte Reformdebatte
dieser Art setzte bekanntlich Ende der sechziger/Anfang der siebziger
Jahre ein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht es
jedoch eher um eine Bilanz und Konsolidierung der Entwicklung der letzten
30 Jahre. In diesem Zusammenhang ist auch das neue Interesse an der
Allgemeinbildung zu verstehen. Soll sie jedoch realistisch formuliert
werden, bedarf sie eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, um den möglicherweise
auch erst wieder öffentlich gestritten werden muß. Aus den erwähnten Gründen
ist Klafkis Entwurf als Grundlage für einen solchen Konsens nur bedingt
geeignet; weil er zu sehr den alten, seinerzeit nicht unberechtigten
reformpädagogischen Vorstellungen parteilich verhaftet ist.
[1] Ausführlicher dazu: H. Giesecke: Kleine Didaktik des politischen Unterrichts, Bad Schwalbach 1997, ferner: ders.: Didaktik der politischen Bildung, Weinheim - München 1993. [2] Vgl. H. Giesecke: Die pädagogische Beziehung, Weinheim 1997.
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